Research und Märkte
Ein Ende im Ukraine-Krieg ist nicht absehbar. Auch die langfristigen Folgen für die Wirtschaft sind schwer abzuschätzen, die jüngsten Konjunkturdaten zeigen aber erste Warnsignale. fondsmagazin sprach mit Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater über aktuelle Veränderungen bei Inflation, Zinsen, Politik und Notenbanken.
Ulrich Kater: Durch die gestörten Lieferketten, niedrige Lagerhaltung und hohe Rohstoffpreise trifft diese militärische Auseinandersetzung auf eine schon durch Corona geschwächte Angebotsseite. Weltweit sind Deutschland und Euroland im Fokus, die USA und Asien sind dagegen weniger betroffen – aber auch für diese Länder haben sich die Rohölpreise verdoppelt. Der wirtschaftliche Schaden für die europäischen Volkswirtschaften wird erst in den kommenden Wochen/Monaten richtig abzuschätzen sein.
Ulrich Kater: Ja. Wir rechnen in Deutschland im Jahr 2022 mit einer halbierten Wachstumsrate von 1,7 Prozent und im Euroraum mit 2,2 Prozent statt zuvor 4,2 Prozent.
Ulrich Kater: Dafür haben wir ein Risikoszenario erstellt. Der wirtschaftliche Schaden in Deutschland und Euroland wäre nochmals höher. Die Gefahr einer Stagnation oder Rezession in diesem Jahr kaum vermeidbar.
Ulrich Kater: Das halte ich für viel zu hoch. Allein die Inflationssteigerung reduziert die realen Einkommen der Konsumenten. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist zwar aus Coronazeiten her noch relativ stabil und es besteht Nachholbedarf, aber durch die Inflation bekommt sie einen Dämpfer. Noch sehr viel direkter und stärker als Preisanstiege wirken nicht vorhandene Vorprodukte auf die Wirtschaftsaktivität, denn ohne diese können Unternehmen nicht produzieren.
Ulrich Kater: Das ist ein Aspekt. Außerdem machen hohe Rohstoffpreise einige Produktionen unrentabel, bestehende Aufträge werden abgelehnt. Metalle, wie für die Aluminiumproduktion, oder auch viele Chemie- und Agrarproduktionen, etwa Dünger, fallen hierunter.
Dr. Ulrich Kater
Ulrich Kater: Die Inflationsraten im Euroraum werden in 2022 noch auf über 7 Prozent steigen, für das Gesamtjahr rechnen wir nun mit gut 6 Prozent. Grundsätzlich müssen die Kosten der Krise von allen getragen werden. Eine Hauptlast liegt auf den Schultern der Arbeitnehmer, weil nicht die gesamte Inflation dieses Jahres in den Löhnen ausgeglichen werden kann. Aber es ist das gute Recht der Gewerkschaften, einen vollen Inflationsausgleich zu verlangen – auch wenn sich in realer Rechnung dadurch die Einkommen nicht wirklich steigern lassen. Das Problem: Übersteigt durch zu hohe Lohnsteigerung weiterhin die Nachfrage das Angebot, dann steigen die Preise weiter – und die gerade neu verhandelten Einkommen werden wieder entwertet. Dann haben wir die Preis-Lohn-Spirale, die nur durch die Notenbank unterbrochen werden kann. Allerdings zahlen wir dann den Preis einer Rezession wie in den 1970er-Jahren. Ich glaube aber nicht, dass es so schlimm wird: Die Gewerkschaften verfolgen heute eine viel verantwortungsvollere und weiter nach vorn blickende Strategie.
Ulrich Kater: Die Lehre aus der Zeit der Stagflation lautet, dass die Inflationsbekämpfung umso mehr Kosten verursacht, je länger sie hinausgezögert wird. Die US-Notenbank beherzigt diese Erfahrungen gerade, indem sie sich der im Vergleich zum Euroraum noch höheren Inflationsdynamik entgegenstemmt. Die EZB sollte grundsätzlich der gleichen Philosophie folgen, in dem für den Euroraum angemessenen Ausmaß. Das bedeutet erst mal Kursverluste bei Anleihen, die kämen aber auch, wenn die Notenbank nichts tun würde – nur noch schlimmer.
Ulrich Kater: Mit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat sich die Risikoaversion noch deutlich verstärkt, die ohnehin durch hohe Inflationsraten und Zinssteigerungen geprägt war. Im Hauptszenario, in dem die Sanktionen nicht mehr weiter eskalieren, könnten wir die tiefsten Kurse bereits gesehen haben. Im Risikoszenario von weiteren Embargos oder Lieferstopps sehen wir eine Untergrenze beim Dax von 11.500 bis 12.000 Punkten. Kursverluste hierüber hinaus erwarten wir in einem – nach unserer Auffassung sehr unwahrscheinlichen – Fall der Verwicklung von NATO-Ländern in die militärischen Auseinandersetzungen.
Ulrich Kater: Mittelfristig sollte man die Anpassungsfähigkeit und die Innovationskraft des Unternehmenssektors nicht unterschätzen. Die Gewinne bleiben aufwärtsgerichtet, Gleiches gilt für den Konjunkturzyklus, der grundsätzlich intakt ist. Daher könnte der DAX Ende 2022 wieder in die Nähe der Jahresanfangskurse gelangen.
Ulrich Kater: Die gegenwärtigen Probleme in der Weltwirtschaft sind wohl vorübergehender Natur. Sehr problematisch ist die Energieversorgung Europas, dies ist eine Aufgabe der Politik. Ansonsten kann auch von einer neuen Bundesregierung eine relativ aktive Rolle der Fiskalpolitik mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Klimapolitik erwartet werden. Und die Notenbanken müssen den Gefahren einer Verstetigung der Inflation entgegentreten.
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