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Abnahme

Engagement

Kinder annehmen, wie sie sind.

Eine zunehmende Zahl von Kindern in Deutschland wächst in Armut auf. Laut Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes handelt es sich um rund 4,4 Millionen Betroffene. Oftmals geht mit den materiellen Problemen auch eine emotionale Armut einher – Eltern vernachlässigen ihre Kinder oder sind so überfordert, dass sie ihnen nicht mit der notwendigen Wertschätzung begegnen können. 1995 gründete Pastor Bernd Siggelkow deshalb in Berlin-Hellersdorf den Verein „Die Arche – Christliches Kinder- und Jugendwerk e. V.“ Das Ziel: Sich um emotional vernachlässigte und sozial benachteiligte Kinder und ihre Familien zu kümmern. Mittlerweile unterhält die Arche über 20 Standorte in Deutschland. In Frankfurt gibt es vier Projekte, von denen das erste 2010 im Stadtteil Griesheim eröffnet wurde. Die Deka unterstützt die Arche bereits seit 2008 und hat in diesem Zeitraum mehr als eine Million Euro und unzählige Stunden Arbeit investiert. Markt & Impuls hat mit Bernd Siggelkow gesprochen.

Herr Siggelkow, die Arche eröffnet immer mehr Standorte in Deutschland – obwohl die Steuereinnahmen in den letzten Jahren auf immer neue Rekordhöhen gestiegen sind, scheint die Notwendigkeit für privates Engagement zu wachsen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

BERND SIGGELKOW: Ohne ehrenamtliches Engagement würde unser ganzes System zusammenbrechen. An vielen Stellen entzieht sich der Staat seiner Verantwortung. Nach jeder neuen Statistik über Kinderarmut ist die Empörung in der Politik groß, aber außer Lippenbekenntnissen ändert sich nichts. Politiker beschäftigen sich nicht mit der Frage, wie das Problem gelöst werden kann, da es ja vermeintlich genug private Vereine oder Institutionen gibt, die sich um diese Kinder kümmern. Ein weiteres Beispiel ist die Flüchtlingspolitik: Deutschland hat viele misshandelte Menschen aus anderen Ländern aufgenommen. Es gibt aber kein Konzept, wie man diese Personen psychologisch betreuen kann. Die Regierung scheint sich darauf zu verlassen, dass sich schon genug Leute des Problems annehmen werden.

Es braucht also mehr Engagement durch die Wirtschaft und die Gesellschaft?

Definitiv! Ohne die Unterstützung von Unternehmen könnten Organisationen wie die Arche ihre Arbeit nicht umsetzen. Allerdings suchen wir nie nach einem reinen finanziellen Engagement. Unser Ziel ist immer eine Partnerschaft mit den Unternehmen. Wir möchten den Blick der Menschen erweitern und Aufmerksamkeit schaffen. Natürlich brauchen wir das finanzielle Engagement von Unternehmen, aber noch viel wichtiger ist die Sensibilisierung der Menschen.

„Ich würde gerne alle Archen schließen können, weil wir das Problem der Kinderarmut gelöst haben. Leider ist das utopisch.“

Bernd Siggelkow

Wie äußert sich dieser Fokus in ihren Partnerschaften?

Uns ist es wichtig, dass sich die Mitarbeiter und die Unternehmensführung persönlich beteiligen und mit der Arbeit der Arche identifizieren können. Denn dann können wir gemeinsam an einer Lösung arbeiten. In der Deka haben wir diesbezüglich einen sehr engagierten Partner gefunden: Viele Mitarbeiter der Deka kommen zu uns und unterstützen uns in verschiedenen Bereichen mit ihrer Zeit oder ihrem Sachverstand. Sie helfen dabei, Feste und Veranstaltungen in der Arche auszurichten, renovieren Räume, bieten Schnupperkurse im Tauchen an oder legen zur Weihnachtszeit Geschenke für die Arche-Kinder unter den Weihnachtsbaum.

Wie lange arbeiten sie im Normalfall mit ihren Partnern zusammen?

Die meisten unserer Partnerschaften erstrecken sich über einen Zeitraum von drei bis acht Jahren. Einige Unternehmen begleiten uns jetzt schon zehn Jahre, unter anderem auch die Deka. Das Engagement begann bereits, bevor es die Arche in Frankfurt überhaupt gab. Schon 2008 hat die Deka den Freundeskreis der Arche unterstützt, der das Geld für den Bau der Arche gesammelt hat. Länger begleitet uns bisher kein Unternehmen.

Pastor Bernd Siggelkow ist Gründer des Arche – Christliches Kinder- und Jugendwerk e. V.

Gibt es für Unternehmen auch noch andere Möglichkeiten, die Arche zu unterstützen als durch Geldspenden?

Wir versuchen, den Kindern und Jugendlichen Perspektiven für ihren weiteren Lebensweg aufzuzeigen und ihnen Ausbildungen oder Jobs zu vermitteln. Hier sind Kooperationen mit Unternehmen sehr wertvoll. In Hamburg haben wir beispielsweise ein Projekt, das sich Mutmacher nennt und das wir jetzt in verschiedenen Archen umsetzen möchten. Im Rahmen dieses Programms werden Jugendliche von der 9. Klasse an von Ehrenamtlichen begleitet, die ihnen dabei helfen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen. Gemeinsam überlegen sie, welche Berufswege dazu passen könnten. Und wenn die Jugendlichen sich in einzelnen Bereichen noch verbessern müssen, sind die Betreuer zur Stelle und helfen dabei. Firmen können uns aber auch mit ihrer Expertise helfen, die sie in verschiedenen Bereichen haben – so hat die Deka für die Jugend-Arche in Frankfurt Grießheim das Projektmanagement, sprich die Planungs- und Baustellenkoordination, übernommen.

Wieso begleiten Sie die Jugendlichen so lange?

Uns geht es darum, die Kinder ganz anzunehmen und ihnen eine Perspektive für ihr Leben aufzuzeigen. Dazu braucht es Zeit und einen anderen Ansatz als dies sonst in der Sozialpädagogik üblich ist: Viele soziale Institutionen arbeiten unter der Prämisse, dass emotionale Distanz unerlässlich ist. Wir hingegen setzen auf persönliche Nähe und lassen uns ins Herz schauen. Bei uns gibt es keine Öffnungszeiten; wir sind auch dann noch greifbar, wenn andere schon geschlossen haben. Die Nöte der Kinder haben ja auch nicht ab 18 Uhr Feierabend.

Wie genau setzen Sie das um?

Wir möchten den Kindern in der Arche vermitteln, dass sie hier Menschen finden, die sie wertschätzen und so annehmen, wie sie sind. Wertschätzung bedeutet für mich, einen Menschen nicht nur wahrzunehmen, sondern ihn auch zu kennen, seine Geschichte zu kennen. Wir leben leider in einer Zeit, in der dies keinesfalls mehr selbstverständlich ist: Wir be- und verurteilen Menschen, noch bevor wir ihre Geschichte kennen. In der Arche versuchen wir, den Kindern und auch ihren Eltern ohne Vorurteile zu begegnen. Denn hinter jedem Schicksal steckt eine Geschichte. Bevor ich mir nicht die Mühe gemacht habe, einem Menschen zuzuhören, habe ich kein Recht darauf, ihn in eine Schublade zu stecken. Haben Sie denn das Gefühl, dass sich die Nöte der Kinder in den letzten Jahren verändert haben? Wir beobachten auf jeden Fall, dass Kinderarmut immer mehr zunimmt. Ein Großteil der Kinder wird heutzutage in armen Familien geboren und nicht mehr im wohlhabenden Teil der Gesellschaft. Besonders in armen Familien bekommen die Menschen zudem immer früher Kinder. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn Armut wird in Deutschland leider vererbt. Auch die technologische Entwicklung bringt neue Probleme mit sich. Durch Handy und Internet ziehen sich Kinder immer mehr in eine Traumwelt oder eine virtuelle Welt zurück und lernen oft nicht mehr, sich emotional zu artikulieren. Zudem werden Phänomene wie Mobbing durch das Internet um ein Vielfaches verstärkt. Aber auch ganz elementare Dinge, wie beispielsweise das Bildungsniveau, leiden: Durch die Schreibunterstützung der Handys verlernen viele Kinder eine korrekte Rechtschreibung und werden dadurch auch in der Schule schlechter. Das trifft natürlich Kinder viel stärker, die sowieso schon benachteiligt sind. In wohlhabenden Familien wird diese Entwicklung oft noch durch das Elternhaus aufgefangen.

Haben Sie denn das Gefühl, dass sich die Nöte der Kinder in den letzten Jahren verändert haben?

Wir beobachten auf jeden Fall, dass Kinderarmut immer mehr zunimmt. Ein  Großteil der Kinder wird heutzutage in armen Familien geboren und nicht mehr im wohlhabenden Teil der Gesellschaft. Besonders in armen Familien bekommen die Menschen zudem immer früher Kinder. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn Armut wird in Deutschland leider vererbt. Auch die technologische Entwicklung bringt neue Probleme mit sich. Durch Handy und Internet ziehen sich Kinder immer mehr in eine Traumwelt oder eine virtuelle Welt zurück und lernen oft nicht mehr, sich emotional zu artikulieren. Zudem werden Phänomene wie Mobbing durch das Internet um ein Vielfaches verstärkt. Aber auch ganz elementare Dinge, wie beispielsweise das Bildungsniveau, leiden: Durch die Schreibunterstützung der Handys verlernen viele Kinder eine korrekte Rechtschreibung und werden dadurch auch in der Schule schlechter. Das trifft natürlich Kinder viel stärker, die sowieso schon benachteiligt sind. In wohlhabenden Familien wird diese Entwicklung oft noch durch das Elternhaus aufgefangen.

Gibt es von Ihrer Seite Pläne, diesen Herausforderungen im Bildungsbereich gezielter zu begegnen?

Das Schulsystem entwickelt sich immer mehr in Richtung Ganztagsschulen. Die Arche sieht in diesem Bereich noch viel Potenzial, unterstützend tätig zu sein. Ich arbeite selbst an einigen Schulen und beobachte, dass es nicht gut gelingt, den Kindern mit ihren Schwächen und ihrem Hintergrund gerecht zu werden. Als Arche überlegen wir natürlich, wie wir auch an öffentlichen Schulen präsent sein können, um die Kinder zu fördern und zu unterstützen. Dazu muss das deutsche Schulsystem aber grundsätzlich verbessert werden, denn es ist nicht mehr zeitgemäß. Das System stammt noch aus der Zeit Preußens und orientiert sich nicht an den Kindern, sondern erwartet, dass sich die Kinder am System orientieren. Was ist ihr dringlichster Wunsch für die Zukunft? Ich würde gerne alle Archen schließen können, weil wir das Problem der Kinderarmut gelöst haben. Leider ist das utopisch, da wir in Deutschland kein Konzept gegen Kinderarmut haben. Wir werden daher in den nächsten Jahren vermutlich damit beschäftigt sein, noch die eine oder andere Arche zu eröffnen. Dafür erhoffe ich mir natürlich auch weiterhin so gute Partnerschaften wie mit der Deka.

Was ist ihr dringlichster Wunsch für die Zukunft?

Ich würde gerne alle Archen schließen können, weil wir das Problem der Kinderarmut gelöst haben. Leider ist das utopisch, da wir in Deutschland kein Konzept gegen Kinderarmut haben. Wir werden daher in den nächsten Jahren vermutlich damit beschäftigt sein, noch die eine oder andere Arche zu eröffnen. Dafür erhoffe ich mir natürlich auch weiterhin so gute Partnerschaften wie mit der Deka. 

Herr Siggelkow, vielen Dank für Ihre Zeit und für das spannende Gespräch!

Mehr über die Arche unter:

Kinderprojekt-Arche