Impuls
„Deutschland ist auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen“
1000 Tage Krieg in der Ukraine – der 18. November 2024 markiert ein trauriges Jubiläum. Die Auswirkungen des Konfliktes in Europa sind auf vielfältige Weise weltweit spürbar. Wie sie Deutschland in Bezug auf Sicherheit, Wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt verändert haben und welche Anforderungen sich daraus ergeben, hat Prof. Dr. Daniela Schwarzer, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, auf der Deka Institutionell Investment-Konferenz 2024 beschrieben.
Dezember 2024
„Der Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine markierte für Deutschland eine Zäsur“, so Prof. Dr. Daniela Schwarzer. „Er beendete eine Ära, in der sich das Land im Wesentlichen auf drei Dinge verlassen konnte: auf die tiefe Einbindung in die Weltwirtschaft, auf eine zuverlässige und preiswerte Energielieferung aus Russland sowie auf Sicherheit durch den Garanten USA und eine vergleichsweise stabile Nachbarschaft in Süd- und Osteuropa.“
Die deutsche Bundesregierung habe daraufhin schnell verstanden, dass man sich angesichts der Ereignisse neu aufstellen müsse. So wurde die Doktrin aufgegeben, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern – ein fundamentaler Wandel der deutschen Außenpolitik. Auch die Verabschiedung eines Sondervermögens von 100 Mrd. Euro für Sicherheit und Verteidigung sowie der angekündigte schrittweise Abschied von fossilen Energien aus Russland stellen nach Einschätzung von Schwarzer maßgebliche Richtungsänderungen dar. Dabei sei die Bedrohungslage nicht zurückgegangen, sondern habe im Gegenteil weiter zugenommen.
Deutschlands Wirtschaftsmodell unter Druck.
Gleichzeitig gerät das deutsche Wirtschaftsmodell durch die gestiegenen Energiepreise, aber auch durch politische Entscheidungen der Vergangenheit unter Druck, stellt Daniela Schwarzer fest: „Deutschland hat zu kämpfen. Gemeinsam mit Frankreich gehören fast 50 Prozent des BIPs der Eurozone nicht mehr zu den Motoren.“ Damit fehle auch der volkswirtschaftliche Rückhalt, um die geplanten Maßnahmen durchzuführen.
Den Druck auf das Wirtschaftsmodell führt die Politikwissenschaftlerin auch darauf zurück, dass in den vergangenen Jahren viel zu wenig investiert wurde. Besonders offensichtlich sei dieser Rückstand in den Bereichen Technologie und Digitalisierung. Aber auch in die Bildung fließe zu wenig Geld – was dazu führe, dass Kinder ohne ausreichende Kompetenzen die Schulen verlassen. Diese Entwicklung und die damit verbundenen sozioökonomischen Konsequenzen drohten zu einer Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu werden. Professor Schwarzer warnt, dass dieser Aspekt in den vergangenen Jahren immer wieder unterschätzt wurde. Einzelne politische Positionen spiegelten heute wider, dass der fehlende Zusammenhalt ein Thema sei, gleichzeitig würden diese Positionen eben diesen Zusammenhalt weiter gefährden.
Prof. Dr. Daniela Schwarzer
Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung
Kompromissfindung wird schwieriger.
So hätten bei den vergangenen Wahlen die Bereitschaft zur politischen Polarisierung sowie zur verbalen und physischen Gewalt gegenüber Wahlkämpfenden deutlich zugenommen. Das alles schaffe ein Klima, in dem Kompromissfindung und demokratische Politik immer schwieriger werde. Die Folge: „Noch nie hat es so viele Politikerinnen und Politiker gegeben, die sich in einem Alter, in dem die Karriere eigentlich noch bevorsteht, aus der Politik verabschieden.“
Diese Entwicklung in Deutschland werde dabei von verschiedenen Faktoren getrieben. Seit dem Wahlkampf zu Donald Trumps erster Präsidentschaft vor acht Jahren sei ein Bruch in der demokratischen und politischen Kultur in den USA zu beobachten: eine Polarisierung unter massivem Einsatz von sozialen Medien, um eigene Botschaften zu setzen, aber vor allem auch, um den politischen Gegner zu diskreditieren und mundtot zu machen. An die Stelle politischer Debatten seien politische Kommunikationssilos getreten. Diese Strategie sei in den Folgejahren auch nach Europa exportiert und von rechtspopulistischen Parteien übernommen worden. Die verbalen und auch die tätlichen Angriffe auf demokratische Politikerinnen und Politiker sowie auf Expertinnen und Experten im Allgemeinen hätten seitdem auch hierzulande deutlich zugenommen.
Investitionen in Sicherheit und Resilienz notwendig.
„Dabei ist Deutschland vorwärts blickend mehr denn je auf gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen“, mahnt Schwarzer. Künftig sei ein sehr großes Positionsspektrum innerhalb der Regierung sowie eine starke Polarisierung zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien zu erwarten. Deshalb müssten politische Kompromissfindung und wichtige Abwägungsentscheidungen bei einer künftigen Regierung täglich auf der Agenda stehen.
Weitere Aufgaben würden vor allem vom systemischen Umbruch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich bestimmt. Deutschland brauche zum einen weiterhin Investitionen in die äußere, vor allem aber auch in die innere Sicherheit. Die Anzahl der hybriden Attacken auf Deutschland sei enorm gewachsen. Als Quellen dieser Attacken verortet Schwarzer vor allem Russland, China und den Iran, deren erklärtes Ziel es sei, den politischen Westen auch durch Interventionen in die westlichen Gesellschaften zu schwächen. Sie rät deshalb auch zu Investitionen in die Resilienz der Gesellschaft. Die Menschen müssten lernen, in dem neuen Umfeld zu navigieren, Desinformation zu identifizieren und damit umzugehen.
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