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Ein Trumpf ist nicht genug - Multifaktoransätze während und nach der Pandemie

Ein bekanntes Börsensprichwort sagt: „Wer streut, hat keine Meinung“. Doch gerade in den zurückliegenden Monaten hat es sich bewährt, anstatt auf lediglich eine Aktie auf Aktien mehrerer Unternehmen aus unterschiedlichen Sektoren und Ländern zu setzen. Die dahinterstehende Theorie von Henry Markowitz aus den 1950er Jahren funktioniert also immer noch. Zwischenzeitlich sind jedoch weitere Erkenntnisse hinzugekommen, die Anleger bei ihrer Depotzusammenstellung berücksichtigen sollten: Multifaktoransätze, Strategien also, die mehrere Faktoren für die Aktienselektion nutzen, stellen Anlegern regelmäßig einen stetigen Wertentwicklungsverlauf in Aussicht und sorgen auf der anderen Seite für Ruhe, nicht nur im Depot.

Juni 2021

Faktorbasierte Anlagestrategien sind in vielen modernen Vermögensallokationen heute unverzichtbar. Ausgehend von der klassischen Kapitalmarkt-Modellierung wurden über die zurückliegenden Jahre immer mehr Risikoquellen identifiziert und deren Eigenschaften analysiert. Bei jeder Anlagephilosophie muss neben einer theoretischen, akademischen Fundierung natürlich auch der Einsatz in der Praxis einen langfristigen Nutzen stiften und sich in unterschiedlichen Marktphasen bewähren. Insbesondere Stressphasen bieten die Möglichkeit, die Funktionsweise von Faktoren und deren Zusammenspiel besser zu verstehen, um langfristig ein für das jeweilige Anlageziel bestmögliches Portfolio zu ermöglichen. Gesucht ist also eine Faktorzusammensetzung, die Potenziale steigern und Risiken verringern kann. Dies gilt sowohl für gewöhnliche als auch für außergewöhnliche Marktphasen.

Faktorlinse fokussieren – Chancen und Risiken im Detail.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat zu massiven Verwerfungen auch an den Kapitalmärkten geführt und stellt sowohl in seiner Dimension als auch seinem Charakter ein Novum dar. Weltweit erlitten die Aktien von Ende Februar bis in den März 2020 massive Kurseinbrüche. So verlor der amerikanische Markt in dieser Zeit mehr als 40 % an Wert. In dieser Phase haben sich auch klassische Faktoren, die bei der Aktienselektion herangezogen werden, deutlich verändert (siehe Grafik). Besonders Value-Titel und Aktien kleinerer Unternehmen wurden bis Mitte März 2020 in Mitleidenschaft gezogen, während im Gegenzug Qualitätstitel (Quality) und Werte mit defensivem Marktprofil (Low Beta) diese Abwärtsbewegung im Verhältnis gut abfedern und sogar positive Beiträge liefern konnten. Auch das Preismomentum konnte in dieser Phase im Gleichschritt mit defensiven Werten ebenfalls deutliche Gewinne aufbauen.

Faktorrotation – der Markt bewegt sich.

Die Zentralbanken der Welt reagierten schnell auf die Krise und stellten den Märkten Liquidität in einem historischen Ausmaß zur Verfügung. Dies sorgte insgesamt für eine Stabilisierung, ließ gleichwohl den Blick auf die einzelnen Branchen und Unternehmen zu. Die Folge: In der anschließenden Erholung änderte sich das Bild auch aus Faktorsicht. Besonders der Faktor Momentum stach hervor und bildete einen neuen Trend. Genau in solchen Phasen ist es Aufgabe des Portfoliomanagements, den Markt schnell und neu zu bewerten. Es waren insbesondere Unternehmen aus der Tech-Branche, denen die Lockdowns in der gesamten Welt zusätzliche Geschäfte ermöglichten. Auch Branchen wie Haustierbedarf oder Streamingangebote gehörten zu den Gewinnern. Kleinere und günstig bewertete Unternehmen stabilisierten sich ebenfalls. Gelitten haben hingegen insbesondere Unternehmen aus der Touristik- und Reisebranche sowie der stationäre Handel. Auch der Faktor Preismomentum musste in dieser Phase analog zu Qualität und Low Beta Federn lassen. Allerdings handelte es sich bei den Faktoren nur um ein kurzfristiges Phänomen. Insgesamt hielten sich die von Unsicherheit geprägten Kursbewegungen bis in den Herbst. Abhilfe brachte dann die Nachricht, dass ein geeigneter Impfstoff gegen COVID-19 hergestellt wurde. Dank des sich schlagartig verbesserten Ausblicks profitierten in dieser Phase insbesondere kleinere Unternehmen. Im Zuge dessen erlebte der Faktor Value seine Renaissance. Denn bis dato durchliefen Value-Titel einen sehr schwierigen Jahresverlauf und konnten dann deutlich an Boden gewinnen. Eine Entwicklung, die sich weiter fortsetzt.

Für jede Marktphase den passenden Faktorenmix.

Für Anleger von Bedeutung ist, dass jeder Faktor aufgrund seiner Charakteristik seine Berechtigung hat. Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, ist es wichtig, ihre Verhaltensweise zu kennen, um sie dann in der geeigneten Marktphase berücksichtigen zu können. Zwar hat sich eine Momentum-Strategie langfristig ausgezahlt, allerdings musste diese regelmäßig kurzfristige Rückschläge hinnehmen, nämlich dann, wenn sich Marktsituationen verändern. Das Beispiel Value zeigt, dass einzelne Faktoren über einen langen Zeitraum auch einmal unterdurchschnittliche Ergebnisse liefern können und plötzlich zu neuer Stärke erwachen können. Fest steht: Ein Ansatz, der die verschiedenen Faktoren nutzt und sinnvoll miteinander kombiniert, kann eine deutlich stabilere Wertenwicklung liefern als dies eindimensional ausgerichtete Strategien leisten können. Qualität hat sich nicht nur zum Ausbruch der Pandemie ausgezahlt, schon in vorherigen Krisen zeigte sich der Faktor als besonders portfoliostabilisierend. Auch zwischenzeitlich Momentum höher zu gewichten, um anschließend beispielsweise in Value-Titel umzuschichten, war in der zurückliegenden Krise richtig. Das Wechseln zwischen Faktoren, ähnlich wie in der Assetallokation, ist insofern für den Anlageerfolg von großer Bedeutung. Doch wie soll eine Faktorrotation vorgenommen werden? In einem ersten Schritt müssen die Indikatoren benannt werden, die in der Multifaktorenstrategie Berücksichtigung finden sollen. Allein diese Auswahl ist je nach Ansatz unterschiedlich und verdeutlicht, dass Multifaktorstrategie nicht gleich Multifaktorstrategie ist. Eine Alternative können auch Ansätze sein, die eher auf Faktoren für Faktoren setzen. Momentum und Bewertung sind hier gern genannte Ansätze, welche mittelfristige Tilts in einer strategischen Faktorallokation ermöglichen und damit eine Strategie abrunden können. Wie diese sehr abrupten Wechsel nach Ausbruch der Pandemie und insbesondere nach Verkündung der Impfstoffentwicklung verlaufen, wird sich noch herausstellen.

Strategische Faktorallokation – das Chance-Risiko-Profil im Blick.

Die Qualität eines Multifaktoransatzes kann durch Ergänzungen wie Faktor-Timing oder eine Vertiefung und Verbreiterung der Faktordefinitionen auch zukünftig weiter verbessert werden. Im Mittelpunkt steht jedoch eine ausgefeilte Zusammenstellung der strategischen Faktorallokation, welche kurzfristige Schwächen einzelner Faktoren aufheben kann und das gewünschte Rendite-Risiko-Profil liefert.

Mit einer Multifaktorstrategie können Anleger bewusst auf nur eine Strategie setzen, die jedoch sämtliche Faktoren berücksichtigt. Aufgabe des Fondsmanagements ist es, je nach Marktphase die zur Stärke tendierenden Faktoren höher zu gewichten, um somit besonnen auch durch Krisen zu kommen. Professionelles Asset Management muss bei der Aktienselektion weiterhin viele Faktoren nutzen können und sollte insofern seine unterschiedlichen Trümpfe angemessen einsetzen.

Dr. Ulrich Neugebauer

Sprecher der Geschäftsführung Deka Investment