Impuls
„Wir sollten uns klarmachen, dass Wandel notwendig ist“
Die internationale Ordnung wird von vielen Ländern zunehmend in Frage gestellt. Als exportabhängiges und international stark vernetztes Land ist auch Deutschland von diesen Entwicklungen unmittelbar betroffen. Allerdings ist das Land darauf nicht gut vorbereitet, warnt Sicherheitsexpertin Dr. Claudia Major auf der Deka Institutionell Investment-Konferenz 2024 und zeigt mögliche Lösungen auf.
Dezember 2024
Als Russland am 24. Februar 2022 seinen Angriff auf die Ukraine begann, fiel in Deutschland die Steuerung tausender Windradturbinen aus. Grund dafür war offenbar ein russischer Cyberangriff auf den Satellitennetz-Provider Viasat, den auch das ukrainische Militär nutzt. Auch wenn die Windräder nur ein Kollateralschaden waren, müssten Europa und Deutschland sich künftig darauf einstellen, dass ähnliche Szenarien zunehmen werden, warnt Dr. Claudia Major, Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), auf der Deka Institutionell Investment-Konferenz 2024: „Das bestehende internationale System wird aktuell von verschiedenen Akteuren systematisch untergraben. Und auch wenn Deutschland noch nicht direkt angegriffen wird, sind wir doch mitten in Europa ganz unmittelbar von dieser Entwicklung betroffen.“
Internationale Weltordnung in Gefahr?
Als international zutiefst vernetztes Land seien der Friede und Wohlstand Deutschlands direkt von der Stabilität der internationalen Weltordnung abhängig, argumentiert die Sicherheitsexpertin. Daraus ergebe sich, dass Deutschland ein unmittelbares Interesse habe, das internationale Regelsystem zu gestalten und zu verteidigen – und auch eine entsprechende Verantwortung trage. „Dieses System wird jedoch seit einiger Zeit immer stärker in Frage gestellt“, so Dr. Major: „Russland und China testen zunehmend aus, wie weit sie Grenzen überschreiten können. Für Deutschland bedeutet dies, dass wir uns als Land und Gesellschaft bei geopolitischen Themen aktiv mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Folgen für uns weniger inakzeptabel sind.“ So müsse sich das Land beispielsweise entscheiden, ob es die Ukraine langfristig finanziell und militärisch unterstützen möchte oder ob es in Kauf nimmt, dass Russland den Konflikt gewinnt und näher an Europa heranrückt. Eine ähnliche Herausforderung sieht Dr. Major mit Blick auf China: Ist die deutsche Gesellschaft bereit zu akzeptieren, dass China über Huawei möglicherweise Zugriff auf Netzinfrastruktur in Deutschland erlangt oder streben wir besseren Schutz an, nehmen aber in Kauf, dass der Ausbau der digitalen Infrastruktur langsamer voranschreitet?
Laut Dr. Major handelt es sich dabei nicht um isolierte Themen. Um ihre Interessen durchzusetzen und die Neuordnung der globalen Verhältnisse voranzutreiben, adressierten Länder wie China oder Russland alle Bereiche des Lebens: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie griffen dabei jedoch auf sehr unterschiedliche Ansätze zurück, führt die Politikwissenschaftlerin aus: „Russland versucht, die Veränderung der bestehenden Verhältnisse durch Destabilisierung und militärische Gewalt zu erreichen. China setzt dagegen auf verschiedene Instrumente, etwa auf das sogenannte Konzept von ‚lawfare‘, bei dem Rechtssysteme und Institutionen genutzt werden, um anderen Parteien Schaden zuzufügen, sie zu delegitimieren oder sie davon abzuhalten, ihre Rechte wahrzunehmen.“
Dr. Claudia Major
Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Aus Annäherung wird Abgrenzung.
Beide Beispiele zeigten jedoch, dass das bisher vom Westen verfolgte Konzept der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit als Mittel zur Annäherung und Konfliktvermeidung nicht mehr funktioniere. Daraus ergäben sich für Europa und für Deutschland eine Reihe von Konsequenzen, auf die sich das Land einstellen müsse, macht Dr. Major klar: „Sicherheit funktioniert in Europa beispielsweise nicht mehr mit Russland, sondern in weiten Teilen in Abgrenzung zu Russland. Zudem ist es notwendig, die Kosten und den Nutzen von Abhängigkeiten neu zu berechnen – können wir es uns leisten, von chinesischen Produkten abhängig zu sein? Vor allem jedoch müssen wir uns darauf einstellen, künftig zunehmend mit Konflikten konfrontiert zu werden. Schon jetzt stehen wir in Europa unter einer permanenten Spannung, die mal mehr und mal weniger ausbricht. Dabei geht es darum, das zu zerstören, was uns ausmacht: gesellschaftlicher Zusammenhalt, demokratische Institutionen, Freiheit, Pluralität, eine funktionierende Infrastruktur etc.“
Insbesondere westliche Gesellschaften würden noch viel zu stark in der Dualität Krieg und Frieden denken. Das Herzstück der Strategie von Staaten, welche die bestehende Ordnung neu schreiben wollen, sei jedoch nicht Krieg, sondern ein ständiger Konflikt auf allen Ebenen. Auch unterhalb von Krieg oder nuklearen Drohungen könne ein Land ein Gegenspieler sein. Diese Grauzone zwischen Krieg und Frieden sollte mehr ausgeleuchtet werden, fordert Dr. Major. Wenn die Herausforderungen nicht nur militärischer Art seien, sondern auch im Graubereich, im hybriden Bereich lägen, müssen die Antworten auch über den militärischen Bereich hinausgehen: „Zur Sicherung unserer Lebensweise braucht es daher einen Dreiklang aus Abschreckung, Verteidigung im militärischen und Resilienz im nicht-militärischen Bereich. Abschreckung und klassische militärische Verteidigung bedeuten, dass wir dafür eine siegfähige Bundeswehr brauchen. Viele Bürger zucken bei diesen Begriffen erst einmal zusammen, aber je kriegstüchtiger unsere Streitkräfte sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich zum Einsatz kommen. Das alte Motto ‚Kämpfen können um nicht kämpfen zu müssen‘, findet wieder Anwendung.“
Falschmeldungen als taktisches Einsatzmittel.
Die verschiedenen Aspekte der Resilienz im nicht-militärischen Bereich beträfen die gesamte Gesellschaft. Das politische System und die Gesellschaft müssten widerstandsfähiger gemacht werden, etwa über das Bildungssystem: Sind Bürger in der Lage Propaganda zu erkennen, oder fallen sie auf jede Falschmeldung oder jedes TikTok-Video herein? Vor allem jedoch sei es notwendig, dass sich die Zivilgesellschaft auf Jahre der Konfrontation einstelle und eine mentale Zeitenwende vollziehe: „Wir kommen nicht umhin zu verstehen, dass wir vor einer Zeit der jahrelangen Konflikte stehen und als Gesellschaft die Notwendigkeit der Verteidigung verstehen und mittragen müssen.“ Dies sei eminent wichtig, auch wenn es eine Herausforderung bedeute. „China beispielsweise beobachtet sehr genau, wie Europa den Ukraine-Konflikt handhabt und zieht daraus Schlüsse für den Umgang mit Taiwan: Halten wir solche Konflikte langfristig durch? Wie schnell zeigen sich Ermüdungserscheinungen in der Zivilgesellschaft und wie schnell lässt die Unterstützung für die Ukraine nach?“
Die Welt erlebt derzeit eine disruptive, gewaltvolle Veränderung der internationalen Beziehungen. Das, was westliche Gesellschaften ausmacht, wird durch andere Staaten massiv in Frage gestellt. Zeitgleich ziehen sich die USA als verlässlicher Partner zurück. Für die Zukunft bedeute dies, dass Europa und Deutschland umdenken müssen, fordert Dr. Major: „Die weltweiten Veränderungen betreffen uns in Deutschland unmittelbar und es ist unerlässlich, dass wir uns darauf vorbereiten. Dazu sollten wir uns klarmachen, dass Wandel notwendig ist. Vor allem jedoch müssen wir bereit sein, den Preis von Freiheit anzuerkennen und auch zu bezahlen.“
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