Abnahme

Kompetenz

Zeitenwende an den Kapitalmärkten – ist der Moment für ein De-Risking von Pensionsverpflichtungen gekommen?

Im Juni 2024 hat die EZB eine mögliche Zinswende eingeläutet. Nichtsdestotrotz müssen Unternehmen mit betrieblichen Pensionszusagen durch die gestiegene Zinsdynamik weiterhin mit einer deutlich höheren Bilanzvolatilität rechnen. Ist der Moment für die Auslagerung von Verpflichtungen gekommen? Dr. Alexander Zanker, Leiter Institutional Consulting Solutions, erläutert, wie Unternehmen die gestiegenen Zinsen für ein De-Risking ihrer Pensionsverpflichtungen nutzen können.

Juli 2024

Ab September 2022 hatte die EZB die größten Zinserhöhungsschritte ihrer Geschichte vollzogen. Auch wenn die Zentralbank im Juni dieses Jahres die Zinsen geringfügig gesenkt hat, sind diese dennoch im historischen Vergleich weiterhin auf einem hohen Niveau. Die Zinsänderungen betreffen Unternehmen auch abseits der Kreditaufnahme. So hängen die bilanzielle Bewertung und die Ertragssituation von Unternehmen direkt von der Zinshöhe an den Finanzmärkten ab. In der Niedrigzinsphase sind beispielsweise die Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen massiv gestiegen. „Vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsumfelds sollten sich Unternehmen daher mit Absicherungsstrategien wie der Ausfinanzierung von Pensionszusagen auseinandersetzen“, so Dr. Alexander Zanker, Leiter Institutional Consulting Solutions der Deka. „Insbesondere mit Blick auf die gestiegene Zinsvolatilität besteht deutlicher Handlungsbedarf.“

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang die betriebliche Altersversorgung der Unternehmen. Arbeitgeber mit einer direkten betrieblichen Pensionszusage (defined benefit) müssen Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden. Für die Berechnung der Höhe der Pensionsrückstellungen wird der Barwert der Pensionszusage mit einem Diskontfaktor abgezinst, dem sogenannten Rechnungszins. Während Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, als Rechnungszins einen laufzeitäquivalenten Marktzins (üblicherweise Firmenanleihen mit AA-Ratings) ansetzen müssen, wird in der HGB-Bilanzierung hierfür ein zehnjähriger Durchschnittszins der Deutschen Bundesbank verwendet. Die Höhe der Rückstellungen hängt damit direkt von dem jeweils aktuellen Zinsniveau ab – je niedriger der Zinssatz, desto höher der Barwert der zu bildenden Rückstellungen und umgekehrt. „Da Rückstellungen bilanziell als Schulden behandelt werden, müssen sie als Fremdkapital ausgewiesen werden. Somit können niedrigere Zinssätze zum Anstieg des Verschuldungsgrades und zur Verschlechterung zentraler Bilanzkennzahlen wie der Eigenkapitalquote führen“, erläutert Dr. Zanker. Ein gestiegener Verschuldungsgrad wiederum bedeutet eine geringere Bonität, möglicherweise sogar eine Herabstufung des Ratings und häufig höhere Fremdfinanzierungskosten.

Zunehmende Unsicherheit erschwert die Planung und schafft neue Begehrlichkeiten.

Doch auch steigende Zinsen könnten die Bilanzen der Unternehmen belasten. 2022 haben die Zentralbanken eine Kehrtwende vollzogen und begonnen, die Leitzinsen zu erhöhen. Damit sind auch die langfristigen Zinsniveaus gestiegen, die den Rechnungszins prägen. Für Pensionsverpflichtungen im IFRS-Kontext mit einer Duration von 15 Jahren hat sich der Rechnungszins per Ende Mai 2024 gegenüber Ende 2021 um ca. 2,5 Prozentpunkte erhöht, von 1,31 auf 3,85 Prozent.1 Dies bedeutet, dass sich der bilanzielle Wert der Pensionsrückstellungen im gleichen Zeitraum um 35 bis 40 Prozent verringert hat. Diese Verringerung der Pensionsverpflichtungen entlastet die Bilanzen von IFRS-bilanzierenden Unternehmen aktuell deutlich. Allerdings werden hierdurch bilanzielle Erträge geschaffen, die bei Anteilseignern, Arbeitnehmervertretern oder der Politik Begehrlichkeiten wecken können. Dies ist insofern problematisch, als diesen rein buchhalterischen Erträgen keine tatsächlichen Zahlungsströme, sondern höhere bilanzielle Risiken sowie in Zukunft meist deutlich höhere Belastungen aus den Pensionsleistungen gegenüberstehen.

Für Unternehmen, die ihre Leistungszusagen nach HGB bilanzieren, stellt sich die Lage indes anders dar: So ist der HGB-Rechnungszins seit Ende 2021 von 1,87 auf 1,83 Prozent per Ende Mai 2024 gesunken (Quelle: Mercer). Dies ist durch die Verwendung des Durchschnittszinses bedingt, welcher erst noch die Jahre sinkender Zinsen verarbeiten muss. Auch wenn das Marktzinsniveau in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, wird der 10-jährige Durchschnitt erst per Ende 2024 leicht ansteigen. In der Zukunft werden Unternehmen mit einer deutlich höheren Bilanzvolatilität rechnen müssen: So lassen etwa die schwächeren Wachstumsaussichten nicht unbedingt zusätzliche Zinserhöhungen erwarten – eine potenzielle Lohn-Preis-Spirale und damit erhöhte Inflation hingegen schon. Je nach Szenario kann sich die Verpflichtungssituation völlig unterschiedlich entwickeln, wie die untenstehende Übersicht anhand verschiedener Beispiele verdeutlicht.

Wie können institutionelle Investoren reagieren?

Unternehmen können zur Reduzierung ihrer finanziellen Belastungen aus Pensionsverpflichtungen eine Rücklage in Form von Kapitalanlagen bilden und diese in ein Treuhandkonstrukt einbringen. Durch die Saldierung von Anlagen und Verpflichtungen wird eine Verkürzung der Bilanz erreicht. Zudem können die Unternehmen im Rahmen eines Asset-Liability-Managements, in dem die Kapitalanlage an den Verpflichtungen und deren Bewertungsrisiken ausgerichtet wird, ihre Bilanz gegen Schwankungen der Höhe von Pensionsrückstellungen immunisieren und Liquiditätsrisiken reduzieren. „Es spricht vieles dafür, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Hedging-Level anzuheben und einen konkreten Plan zu entwerfen, um dieses Level bei Erreichen bestimmter Trigger im Zinsniveau weiter zu erhöhen“, so Dr. Zanker. „Anleger mit Leistungszusagen können durch den Aufbau von Planvermögen, welches auf die Verpflichtungen abgestimmt wird, bilanzielle Risiken deutlich reduzieren. Hierbei muss allerdings zwischen IFRS- und HGB-Verpflichtungen unterschieden werden.“

Bilanzielles Risiko reduzieren durch Erhöhung des Ausfinanzierungsgrades.

Steht die Verringerung von bilanziellen Risiken im Vordergrund, kann durch eine Anlage, die kongruent zu den Durationen der Verpflichtungen verläuft, der Absicherungsgrad erhöht werden. Insbesondere bei Verpflichtungen im Rahmen von IFRS kann hierzu der Zinsanstieg der vergangenen Jahre sehr effektiv genutzt werden. Aufgrund der höheren Zinsen ist der Verpflichtungsbarwert signifikant niedriger – wodurch ein substanzieller Ausfinanzierungsgrad sehr viel leichter darstellbar ist, da signifikant weniger Planvermögen aufgewendet werden muss als noch vor ein paar Jahren. Das Kapital kann dann verstärkt in Anleihen mit höherer Duration investiert werden, die aktuell wieder deutlich positive Zinsen bieten. Bei einer passgenauen Umsetzung schwanken in Folge die Verpflichtungen und das Anlagevolumen gleichförmig. Hierdurch wird die Volatilität des Ausfinanzierungsgrades und damit das bilanzielle Risiko wirksam reduziert.

Für Unternehmen, die nach HGB bilanzieren, werden die Verpflichtungen ebenfalls, wenn auch nicht so stark, sinken: Obwohl das Marktzinsniveau in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, steigt der Durchschnittszins erst per Ende 2024. Somit kann auch hier mit einer Ausfinanzierung das bilanzielle Risiko reduziert werden. Allerdings ist es wichtig, bei der Kapitalanlage auf eine geringere Zinssensitivität als bei IFRS zu achten, damit bei einem potenziellen Zinsanstieg nicht sowohl die Anlage- als auch die Verpflichtungsseite belastet werden. Auf der Aktivseite bietet es sich für HGB-bilanzierende Unternehmen an, ein De-Risking in der Form einer Umallokation von risikoreichen Anlagen wie Aktien und High-Yield-Anleihen hin zu risikoärmeren Anlageklassen mit langfristig höherem Verpflichtungsbezug durchzuführen. Als Anlageklasse kommen dafür vor allem EUR-Unternehmensanleihen mittlerer und längerer Duration mit Investment-Grade-Rating in Betracht, da für die Unternehmen aktuell eine höhere Zinsduration auf der Aktivseite ökonomisch sinnvoll sein kann, um sich gegen weiter fallende Zinsen abzusichern. Jedoch kann ein erschwertes wirtschaftliches Gesamtumfeld dazu führen, dass die Verpflichtungen wieder ansteigen und die Marktwerte auf der Aktivseite gleichermaßen sinken. In der Praxis werden daher vielfach verstärkt Total-Return-Strategien mit einer dynamischen Allokationssteuerung eingesetzt. Bei der Festlegung der Zielrendite ist dabei der zu erwartende Anstieg des Rechnungszinses zu berücksichtigen.

Durch den Aufbau von Planvermögen, das für die Erfüllung von Pensionsansprüchen bereitsteht, kann eine Verringerung von Liquiditätsrisiken erreicht werden. In der Praxis wird hierzu das Auszahlungsprofil analysiert. Ziel ist es, Auszahlungsspitzen mit hinreichend liquidem Kapital zu belegen. Hierbei ist auf Korrelationseffekte zwischen dem operativen Geschäft und dem Kapitalmarkt zu achten. Je höher die Korrelation, desto höher sollte der Absicherungsgrad der Auszahlungsspitzen sein. Das hierfür reservierte Planvermögen muss entsprechend fristenkongruent in eher liquide Titel investiert werden.

Möglichkeiten für De-Risking und Ausfinanzierung dank Zinsanstieg.

„Unternehmen bietet sich aktuell ein geeigneter Zeitpunkt, um ihre Pensionsverpflichtungen auszufinanzieren“, fasst Dr. Zanker die Situation zusammen. „Durch den Zinsanstieg sind die Pensionsverpflichtungen gesunken, wodurch weniger Planvermögen benötigt wird.“ Dabei stellt sich automatisch die Frage nach der passgenauen Kapitalanlage und einem möglichen De-Risking, d. h. einer Umallokation von risikoreichen Anlagen hin zu risikoärmeren Anlageklassen. Am wichtigsten ist es, zunächst Transparenz für eine evidenzbasierte Entscheidung zu schaffen, so der Leiter Institutional Consulting Solutions der Deka: „Mit dem Deka Strategy Navigator können wir Investoren transparent aufzeigen, wie sich der Ausfinanzierungsgrad in unterschiedlichen Szenarien verhält. Wir beziehen dabei konsistent die Entwicklung der Verpflichtungen und der Kapitalanlage ein und können vollständige Asset-Liability-Analysen für jede Situation durchführen. Allerdings gilt für alle Unternehmen gleichermaßen, dass die gestiegenen Zinsen derzeit eine gute Gelegenheit für ein De-Risking der Pensionsverpflichtungen bieten.“

1 Quelle: Mercer

Potenzielle Szenarien und Auswirkungen auf die Pensionsverpflichtungen.

Szenario 1: Notenbanken bekommen Lage in den Griff.
Szenario 2: Hohe Inflation und wieder steigende Zinsen.
Szenario 3: Rezession und deutlich fallende Zinsen.

Weitere interessante Themen.