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Rekorde und digitales Versteckspiel.

Rekord-Dividenden und vieles mehr: Nach drei Jahren Pandemie finden 2023 wieder mehr Hauptversammlungen in Präsenz statt – und bei Themen wie dem Klimaschutz, dem Umbau vieler Geschäftsmodelle oder der Transparenz des Managements gibt es einiges zu besprechen. Die Deka nimmt die Unternehmen dabei in die Pflicht.

April 2023

Schritt für Schritt bereitet sich Ingo Speich auf seine Wortmeldung vor: Der Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka klopft intensiv die Bilanzen von Siemens Energy ab, notiert verbesserte Umsätze und gestiegenen Cashflow. Seine Gespräche mit dem Management lässt er noch einmal Revue passieren – die Windkraft-Tochter Gamesa hat den versprochenen Turnaround auch im vergangenen Geschäftsjahr nicht geschafft, bleibt ein „Bremsklotz für den Aktienkurs“. Und mit den Fachleuten seines Teams analysiert Speich, dass der Elektro- und Energietechnik­hersteller beim Zukunftsthema Wasserstoff-Elektrolyseure seine Technologieführerschaft zu verlieren droht. Essenz aus all diesen Erkenntnissen ist sein Redebeitrag und das Abstimmungsverhalten im Sinne der Anlegerinnen und Anleger.
Und dann das: Die Einwahltechnik des Münchener Konzerns zu seiner virtuellen Hauptversammlung macht schlapp. 45 Minuten lang bekommt Speich keinen Zugang zum rein virtuellen Aktionärstreffen. Willkommen in der digitalen Wirklichkeit 2023 – ausgerechnet bei einer Tochter des traditionsreichsten deutschen Elektronikkonzerns.

Problemfall virtuelle Aktionärstreffen.

Virtuelle HVs sind kein Einzelfall: Die Mehrzahl der Dax-Unternehmen will dauerhaft bei der rein digitalen Hauptversammlung bleiben, die der Gesetzgeber eigentlich nur als Corona-Ausnahme erlaubt hatte. Und auch in ganz Europa setzen die Konzerne auf allein virtuelle Meetings. Schließlich sei so eine Veranstaltung mit einer knappen Million Euro nur halb so teuer wie ein echtes Zusammentreffen, rechnete der Münchener-Rück-Chef Joachim Wenning vor. Doch eine Million Euro mehr oder weniger, das ist bei den Milliarden-Konzernen der ersten Börsenreihen eher unbedeutend. Es sei vielmehr bequem – gerade für ein weniger erfolgreiches Management, das Anlegerinnen und Anleger auf Distanz halten möchte, so Speich.
Dabei wären technische Versteckspielchen in dieser Hauptversammlungs-Saison bei vielen europäischen Unternehmen gar nicht nötig. Denn die meisten Firmen haben ihren Besitzerinnen und Besitzern gute bis glänzende Zahlen zu berichten – trotz Pandemiefolgen, trotz Lieferkettenstörungen, trotz Halbleiterkrise, Kriegsauswirkungen, Inflation oder Konjunkturflaute. Mathieu Meyer, Partner bei der Unternehmensberatung EY, erklärt dies am Beispiel der deutschen Top-Firmen: „Bislang gelingt es den meisten DAX-Unternehmen, die steigenden Kosten bei Personal, Beschaffung, Logistik und Energie auf ihre Kunden umzulegen. Und zu dem befürchteten Nachfrageeinbruch ist es bislang nicht gekommen.“ Zudem würden die hohen Auftragspolster einen komfortablen Puffer gegen eine zurückgehende Nachfrage bieten. Ein Gewinnbooster, der europaweit die Bilanzen befeuert.

Rekordgewinne bei Europas Konzernen.

Unternehmen wie Stellantis oder Mercedes-Benz feiern auf den Hauptversammlungen sogar Rekordgewinne, weil sie besonders teure Modelle überdurchschnittlich oft an die Kundschaft bringen konnten. Und auch Beiersdorf, BNP Paribas oder Total haben die Preise über die allgemeine Teuerung hinaus anheben können. Mehr Umsatz, mehr Gewinn ist das Ergebnis. Ein Phänomen, das bei sehr vielen Firmen weltweit zu beobachten ist – und sich auch in den Ausschüttungen zeigt.
Doch wenn alles eitel Sonnenschein wäre und die Masse der Führungs-Crews beinahe fehlerlos, dann hätten Beobachter ja eigentlich kaum etwas zu tun. Das ist aber auch in dieser Hauptversammlungs-Saison nicht so. Bei den rund 30 Treffen, auf denen Speich und seine drei Deka-Kolleginnen und -Kollegen auftreten – und bei den rund 1.000, auf denen sie für die Fondsanlegerinnen und -anleger die Stimme abgeben –, da gebe es „immer mehr Themen, die für die langfristige Vermögensbildung mit Fonds wichtig sind“. Vom digitalen Umbau über umweltfreundliche Produktion bis zur Konzentration auf Zukunftsmärkte oder transparente Unternehmensführung. 17 Fachleute für Nachhaltigkeitsthemen und 42 Analystinnen und Analysten nehmen dazu die Beteiligungen unter die Lupe – und leisten einen starken Beitrag zu den Reden des Teams um Speich auf den Hauptversammlungen, aber auch für viele Termine zum Austausch mit dem Management im ganzen Jahr.

Transformation bleibt die Herausforderung.

Und da fällt eben auf, dass beispielsweise „der Patient Thyssenkrupp inzwischen aus der Intensivstation entlassen“ sei, so Speich. Doch bei seinem zukunftsträchtigen Wasserstoffgeschäft tue sich immer noch zu wenig und die Strategie der notorisch schwach bis unprofitablen Stahlsparte bleibt nebulös. „Die Schreckgespenster CO2-Bepreisung und Energiekostenanstieg stehen vor der Tür und bedrohen die Existenz des Stahlgeschäfts“, so Speich. Wettbewerber wie Arcelor-Mittal, Nippon-Steel oder Posco seien weit besser aufgestellt.
Was den alteingesessenen Stahlkocher Thyssenkrupp beutelt, beschäftigt viele Firmen mit tiefen Wurzeln: die Transformation hin zu klimaneutralem Wirtschaften, digital vernetzten Angeboten, sozial einwandfreiem Handeln, neuen Geschäftsfeldern oder diversen und transparenten Managementstrukturen. All dies ist eine Mammutaufgabe. Und bei der blieb manches im Krisenmanagement der vergangenen drei Jahre stehen.
Bei Infineon etwa arbeitet Cornelia Zimmermann in ihrem Beitrag auf der Hauptversammlung solche Versäumnisse im Detail heraus: Die Deka-Expertin aus Speichs Team weist zum Beispiel darauf hin, dass der Halbleiter-Bauer bei den besonders gefragten Siliziumkarbid-Chips „vor allem im Endmarkt für Elektroautos zeitlich immer noch im Rückstand gegenüber einigen Wettbewerbern liegt“. Auch die Profitabilität müsse steigen. Wettbewerber von Infineon haben sich im vergangenen Geschäftsjahr und auf Drei-Jahres-Sicht teilweise deutlich besser geschlagen.
Zimmermann fragt zudem das Management auch danach, wie variable Bestandteile des eigenen Gehalts noch klarer mit zählbaren Erfolgen bei Performance, Nachhaltigkeit und Transformation verbunden werden. Auch diese Leistungsbestandteile beim Gehalt sind Kernforderungen, die die Deka auf vielen Hauptversammlungen thematisiert.
Gerade bei den Treffen mit Aufsichtsrat und Vorstand geht es zudem mehr und mehr um die Diversität in den Gremien – mehr Frauen, mehr Nationalitäten, das ist in Deutschland, Europa und weltweit der Konsens von Aktionärsvertreterinnen und -vertretern. Auch das gehört zum Erfolg, der „letztlich auch zum nachhaltigen, substanziellen und langfristigen Vermögenszuwachs führt“, wie Speich betont.

Unsicherheitsfaktor China.

Ein neuer Schwerpunkt ist 2023 auch die konstruktiv-kritische Begleitung beim Reagieren auf die geopolitischen Risiken. Der Ukrainekrieg hat beispielsweise gezeigt, wie verhängnisvoll eine zu starke Rohstoffabhängigkeit vom Energielieferanten Russland ist. Die eisigeren Zeiten im Umgang mit China bieten Anlass genug, auch hier die Abhängigkeiten zu hinterfragen. In der Pharmabranche etwa drohe gerade europäischen Produzenten Ungemach, so Roland Rohde, Chinaexperte bei Germany Trade & Invert: „China setzt auf Abschottung und mehr staatliche Kontrolle. Das ist Gift für die Innovationskultur und dürfte die Hersteller hart treffen.“ Proaktives Handeln sei deshalb gefragt – etwa durch mehr Produktion in Südostasien oder das Erschließen neuer Absatzchancen in wachsenden Märkten wie Indien oder Vietnam.
Ein Thema, das weit über die Hauptversammlungen hinausgeht. Die großen Anteilseigner, zu denen oft auch die Deka gehört, bauen deshalb auf kontinuierliche Begleitung der Firmen. „Ich bin froh, dass wir wenigstens dort jetzt wieder mehr reale Begegnungen und Besuche haben“, sagt Ingo Speich. Der Schwung für den Umbau der Unternehmen hin zu mehr digitalem und nachhaltigem Geschäft mit Ertragspotenzial werde wieder mehr in den Fokus rücken, wenn umsatzfördernde Sondereffekte nach den Krisen abebben.

HV-Tage liefern Grund zur Freude.

In dieser Saison sind die Hauptversammlungstage meist Feiertage. „Allein die 40 größten Unternehmen Deutschlands werden nach unseren Prognosen eine Rekorddividende von insgesamt 55 Milliarden Euro ausschütten“, so Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie im Makro-Research der DekaBank. Im Vergleich zum Vorjahr sind das zusätzlich 3,6 Milliarden Euro und 20,4 Milliarden Euro mehr als im Krisenjahr 2020. Knapp 30 Prozent davon entfallen allein auf die Automobilindustrie. Zudem gehen wohl nur die Anteilseignerinnen und -eigner von Delivery Hero, HelloFresh, Qiagen und Zalando im HDax ohne Dividende nach Haus. Airbus, Deutsche Bank und Continental haben wieder Geld zu verteilen. Und Siemens Energy zahlt sogar erstmals Dividende. In anderen Indizes, Ländern und sogar weltweit sind die Gesamtausschüttungen nach Branchenprognosen ebenfalls auf Rekordhöhen in Richtung zwei Billionen Euro unterwegs. Große Unbekannte bleibt neben den Kriegsfolgen beispielsweise auch, wie stark sich die chinesische Konjunktur nach dem Ende der brachialen Lockdowns wieder erholen kann. Die Fragezeichen hinsichtlich der weiteren konjunkturellen Entwicklung seien generell selten so groß wie heute, sagt auch EY-Berater Meyer: „Die Unternehmen fahren auf Sicht, meiden größere Risiken und rechnen jederzeit mit neuen Rückschlägen.“

Dividende, aber nachhaltig.

Nachhaltig, zielgerichtet, am langfristigen Erfolg orientiert: Auf diesen strategischen Rat legen auch Ingo Speich und sein Team mit ihren Wortmeldungen auf den Hauptversammlungen einen Schwerpunkt. Und auch darum ist ihnen zwar eine hohe Dividende sehr willkommen – aber nicht um jeden Preis: „Wir wollen helfen, Substanz zu schaffen, zu erhalten und zu mehren.“ Deswegen hat Ingo Speich etwa bei Thyssenkrupp gegen die Ausschüttung einer Dividende gestimmt. „Dividendenzahlungen aus dem operativen Gewinn lehnen wir ab. Das Unternehmen braucht das Geld beim Umbau für die Zukunft dringender“, so Speich. Und davon haben langfristige Anlegerinnen und Anleger mehr.

Quelle: fondsmagazin

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