Kompetenz
Wie Künstliche Intelligenz die Finanzbranche revolutioniert.
„Ohne Künstliche Intelligenz wird es auch in der Finanzbranche schwieriger. Man muss sich ernsthaft damit beschäftigen – nicht erst seit ChatGPT“, betont Dr. Ulrich Neugebauer, Sprecher der Geschäftsführung bei Deka Investment und Vorsitzender des Aufsichtsrats bei IQAM Invest. Es braucht aber weiterhin noch das tiefe Verständnis des Fondsmanagements, z. B. für kausale Zusammenhänge.
Juli 2024
Interview mit Dr. Ulrich Neugebauer, Sprecher der Geschäftsführung der Deka Investment.
Herr Dr. Neugebauer, was ist eigentlich Künstliche Intelligenz?
Der Begriff Künstliche Intelligenz, kurz KI, steht für Computer und Maschinen, die viel von dem zeigen, was der Mensch von Natur aus kann: hören, sehen, sprechen, lernen und Probleme lösen – alles in gewissem Umfang. Künstliche Intelligenz beschreibt die Nachahmung kognitiver Funktionen wie Lernen und Problemlösung durch Maschinen. Dies kann z. B. erfolgen auf der Grundlage der Interpretation unstrukturierter und komplexer Datensätze oder visueller Eingaben. KI-Systeme basieren beispielsweise auf statistischen Methoden oder auch auf Computational Intelligence. Also auf verschiedene Berechnungsmethoden, die zur Lösung von Problemen dienen, die mit klassischen Methoden schon aufgrund der Datenmengen nicht oder nur schwierig zu lösen sind. KI umfasst auch Knowledge Engineering, die Abbildung von Wissen in wissensbasierten Systemen. Jener Teilbereich der KI, der momentan das große Thema ist, ist das maschinelle Lernen. Hier lernen IT-Systeme automatisch Muster und Zusammenhänge aus eingegebenen Daten und verbessern sich selbstständig, ohne hierfür explizit programmiert zu werden.
ChatGTP und Gemini haben maschinelles Lernen erst so richtig populär gemacht. Kann man den aktuellen Rückenwind nutzen?
Mit so einem schnellen Erfolg und den beeindruckenden Ergebnissen haben wohl die wenigsten gerechnet. Auch nicht mit der einfachen und spielerischen Handhabung, mit der man beispielsweise Texte mit diesen Large Language Modellen erstellen kann.
Wofür nutzt die Finanzbranche schon Künstliche Intelligenz?
Angesichts der rasant wachsenden Datenmengen, die den Marktteilnehmenden tagtäglich zur Verfügung stehen, ist eine Erfassung und Verarbeitung ohne KI-Unterstützung in diesem Umfang de facto kaum mehr möglich. Die daraus gewonnenen Informationen über Unternehmen liefern wertvolle Erkenntnisse zur Optimierung von Anlageentscheidungen. Aktuell beschäftigen sich viele Marktteilnehmer in der Finanzbranche intensiv damit, wie neue Informationen für Investmentprozesse gefunden und verfügbar gemacht werden können – unabhängig davon, gewiss auch mit der Frage, wie verfügbare Informationen besser ausgewertet werden können. Ziel ist, durch die Nutzung neuer oder die bessere Auswertung bestehender Datenquellen, die Qualität der Produkte zu optimieren, sei es durch angepasstes Risikomanagement oder zielgenauere Prognosen. Davon unabhängig ist ein breiteres Anwendungsfeld gewiss in Operation und Supportfunktionen im IT-Umfeld, Rechtsabteilungen und vielen anderen – und spannend ist, wieviel KI hält in vielen gewöhnlichen Tätigkeiten im Office Einzug und welche wird alltäglich werden.
Dr. Ulrich Neugebauer
ist seit 1998 für die Deka Investment tätig, seit 2008 als Mitglied der Geschäftsführung. Anfangs entwickelte und implementierte er quantitative Investmentstrategien und strukturierte Anlagelösungen. Er gründete IQ-KAP (heute IQAM Research), das private Institut für quantitative Kapitalmarktforschung der DekaBank. Er promovierte in Theoretischer Physik und war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theoretische Physik in Hannover.
Sie forschen bei Deka und IQAM Invest seit Jahren daran, mit KI textbasierte Investitionssignale zu generieren und diese auch zu nutzen. Funktioniert das?
Wir beschäftigen uns tatsächlich schon lange mit dem Thema Sinn entnehmendes, automatisiertes Lesen von Texten. Durch Kooperationen mit Universitäten – auch im Rahmen unseres Forschungsinstituts – haben wir uns bei Large Language Modellen frühzeitig eine gewisse Kompetenz aufbauen können. Diesen Weg wollen wir auch weiter beschreiten, aber hier auch den Fokus auf die Kombination mit eigenem Content legen.
Wofür setzen Sie diese LLMs und KI im Allgemeinen genau ein?
Wir nutzen Künstliche Intelligenz zur Generierung von Prognosen zu Kursentwicklungen und Risiken unterschiedlicher Assetklassen im globalen Kontext. Aber natürlich ist das nur einer von vielen Bausteinen, Finanzmärkte sind sehr komplex und deren Entwicklung ist von vielen Faktoren abhängig.
Für Ihre Prognosen werten Sie auch Textdaten aus. Welche Zusatznutzen liefern sie Ihnen?
Wir setzen Künstliche Intelligenz auch schon länger für das automatisierte Auswerten und Bewerten von Textdaten wie Finanznachrichten oder Earnings-Calls ein, um daraus Informationen abzuleiten. Viele Textdaten sind ohne Verzögerung verfügbar, das kann Vorteile haben – Stichwort Nowcasting. Ein anderes Beispiel sind Ad hoc-Meldungen, die direkt in Echtzeit analysiert werden. Wir filtern, welche Nachrichten tatsächlich kursrelevant sind und welche nicht, und können so sehr schnell eine erste Einschätzung generieren, die dann durch Analysten geprüft werden kann. Eine sicherlich erwartbarere Anwendung ist die Auswertung von Nachrichten. Durch KI kann man mehrere 1.000 solcher Texte schnell auswerten und Informationen ableiten. Das ist aber nicht einfach, weil sich einerseits viel Noise in den Daten befindet und auch, weil zur Auswertung dezidierte und spezifische Content-Informationen wichtig sind.
Wie unterstützt Sie Künstliche Intelligenz beim ESG-Screening?
Hier haben wir in der Forschung – IQAM Research – eine interessante Arbeit: Mittels Textanalyse werden für Unternehmen solche Risiken quantifiziert, die bestimmten regulatorischen wie physischen Klimarisiken in besonderem Maß ausgesetzt sind bzw. solche enthalten. Aus Millionen von Nachrichtenartikeln lassen sich so sehr firmenspezifische Umweltrisiken ableiten. Das hat Vorteile, da Nachrichtenarchive eine viel längere Historie als ESG-Datenbanken haben. Unser News-Ansatz ist hier eine interessante Ergänzung zu ESG-Score-Ansätzen. Ein weiteres Anwendungsgebiet hat viel mit den statistischen Verfahren zu tun, die in LLMs verwendet werden, Ähnlichkeit ist hier das Stichwort. IQAM Research nutzt KI auch für Relevanz-basierte Prognosen. Wir erfassen den aktuellen makroökonomischen Zustand, vergleichen diesen mit historischen Zuständen und errechnen daraus ein Ähnlichkeitsmaß. Die zugrunde liegende Hypothese ist, dass Beobachtungen mit hoher Ähnlichkeit zur aktuellen Marktlage auch relevanter sind und damit eine höhere Prognosegüte aufweisen. Im Gegensatz zum klassischen Fall, in dem jede Beobachtung gleichgewichtet wird, werden Modelle anschließend trainiert, indem Beobachtungen durch dieses Ähnlichkeits- bzw. Relevanzmaß höher oder niedriger gewichtet werden. Ergebnisse zeigen einen durchaus positiven Effekt dieser Methodik.
Wie verknüpfen Sie die vortrainierten LLMs konkret mit Ihren eigenen Daten? Was darf man preisgeben?
Wir befinden uns hier in einem regulatorischen Umfeld. Wir nutzen vortrainierte LLMs, trainieren sie aber weiter auf unseren proprietären Daten, um ein unterscheidbares Modell zu genieren, dass ein besseres Verständnis liefert. Es geht darum Daten zu finden und zu nutzen, die echte Information über Risiko und Erträge enthalten, diese möglichst zügig auszuwerten und daraus mittels eines guten Verständnisses eine Prognose zu erstellen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Informationen, die Ihr weiter trainiertes LLM generiert auch richtig sind?
Das weiß man nie, das ist ja AI! Sie wissen auch nicht, ob ChatGPT Ihnen die richtigen Antworten liefert. Aber konsistent sollten die Antworten sein. Grundsätzlich arbeiten wir in einem regulierten Umfeld und müssen dem durch Prozesse u. ä. Rechnung tragen. Diese Entwicklung ist noch im Fluss. Am Ende sollten wir uns nicht blind auf Ergebnisse verlassen.
KI unterstützt seit Jahren Ihr quantitatives Fondsmanagement. Macht Künstliche Intelligenz das Fondsmanagement künftig vollends überflüssig?
Das fragt man sich immer wieder bei neuen Themen in der einen oder anderen Weise. Nein, das macht das Fondsmanagement nicht überflüssig, es sind die Kreativität des Menschen und seine Ideen erforderlich, die ja genau diese Innovation vorantreiben. Nur Maschinen allein reichen nicht aus, um bestmögliche Ergebnisse zu liefern. Dazu ist die Welt zu komplex. Meines Ermessens braucht es ein tieferes, menschliches Verständnis, um Entwicklungen interpretieren zu können. So erzeugt man erst durch den Austausch in einem hochprofessionellen und spezialisierten Team aus den Bereichen der Mathematik, Volks- und Finanzwissenschaft etc. Kreativität, die man für gute Prognosen und Investmentideen braucht.
Was heißt das für den Investor? Bleibt KI in den nächsten Jahren der Megatrend?
Es ist schwierig einen Megatrend über mehrere Jahre vorherzusagen. Ich bin aber überzeugt, KI wird im Alltag nicht mehr wegzudenken sein. Die Folgen muss man analysieren, werden aber signifikant sein. Jeder ist mit dieser neuen Welt konfrontiert und man kann sich dem nicht entziehen.
Wie verändert die KI die Finanzbranche?
Daten werden mehr und wichtiger und können schneller ausgewertet werden. Die Branche wird sich noch stärker auf die Kundenbedürfnisse einstellen können und dem auch Rechnung tragen. Der gezielte und clevere Einsatz von KI wird auch in der Finanzbranche zunehmend zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil.
Quelle:
INVEST!, Nr. 2 / 2024, Das Magazin von IQAM Invest
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