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Abnahme

Interview

"China will bei Greentech führen"

China schloss als einziges G20-Land das Coronajahr 2020 mit einem Zuwachs des BIPs ab. Mit einem Plus von 2,3 Prozent auf 14,7 Billionen US-Dollar erreichte das Bruttoinlandsprodukt 2020 fast das Dreifache von Japans und das Neunfache von Südkoreas Wirtschaftsleistung. Christina Otte, Deputy Director Ostasien bei der deutschen Wirtschaftsförderung Germany Trade & Invest, zu den weiteren Aussichten.

August 2021

Interview mit Christina Otte, Deputy Director Ostasien bei der deutschen Wirtschaftsförderung Germany Trade & Invest.


Kein Land hat Angela Merkel während ihrer Kanzlerschaft so oft besucht wie China. Wie gut ist unser wirtschaftliches und wirtschaftspolitisches Verhältnis zu China?

Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu China sind so eng wie nie zuvor. China ist 2020 zum zweitgrößten Exportmarkt der deutschen Wirtschaft hinter den USA aufgestiegen und war zum fünften Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Auch die gegenseitigen Investitionen liegen auf Rekordniveau. Aber es ist auch ein Fakt, dass sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen verschlechtert haben.

Inwiefern?

Die politische Einflussnahme ist größer geworden, wie man am Beispiel des Social-Credit-Systems sieht. Unternehmen werden dabei auf Basis staatlich festgelegter Parameter stärker online kontrolliert und bewertet. Punktabzüge bei einem Parameter können zu Nachteilen in anderen Bereichen führen, etwa bei Genehmigungsverfahren. Auch in den Bereichen Zoll und Steuern werden Firmen teilweise überwacht, etwa in der Region Zhejiang. Zudem haben deutsche und auch andere europäische Firmen in China immer noch nicht in allen Branchen freien Marktzugang. Man ist vielfach auf lokale Partner angewiesen und leidet unter erzwungenem Technologietransfer an die chinesischen Unternehmen. Auch das geistige Eigentum ist nicht umfassend geschützt. Öffentliche Ausschreibungen sind wenig transparent; ausländische Firmen werden hier benachteiligt. Die Liste ist lang. Deswegen will die EU ja mit China das geplante Investitionsschutzabkommen schließen.

Was steht in dem Abkommen drin?

Es würde Europa den Marktzugang in bestimmten Branchen erleichtern. Zudem ist Peking bereit, sich auf einige Verpflichtungen einzulassen – bei Elektroautos, IT-Dienstleistern und im Gesundheitswesen, um nur einige zu nennen. Ebenfalls enthalten sind ein Verbot des erzwungenen Technologietransfers und Transparenzauflagen bei Subventionen für chinesische Firmen. Und, ganz wichtig: Europäische Unternehmen erhalten Zugang zu chinesischen Normungsgremien. Damit haben sie Einfluss auf Industriestandards. Allerdings hat das Europaparlament das Abkommen auf Eis gelegt.

Aus welchem Grund?

Es war sicher kein cleverer Zug von Chinas Regierung, Sanktionen gegen EU-Parlamentarier zu verhängen, die die Menschenrechtslage kritisiert hatten. Denn letztlich ist das EU-Parlament für die Ratifizierung des Abkommens verantwortlich. Ursprünglich sollte das Abkommen im Frühjahr 2022 ratifiziert werden; das gilt jetzt als unwahrscheinlich.

Gleichzeitig wächst der wirtschaftliche und politische Einfluss Chinas. Im November 2020 wurde mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Und mit der Neuen Seidenstraße nimmt China auch Einfluss auf viele Länder.

Chinas Einfluss hat sich in der Tat in vielen Teilen der Welt erhöht. Zu dem Ergebnis ist auch eine aktuelle Studie des Atlantic Council gekommen – und hat festgestellt, dass dies vor allem zulasten der USA geschieht. Das sieht man insbesondere in Asien. Die Neue Seidenstraße spielt dabei natürlich eine große Rolle.

Können Sie Beispiele nennen?

China hat viele Logistikrouten ausgebaut und dabei weltweit in die Infrastruktur von Zentralasien, Südost- und Südasien sowie den Nahen Osten bis nach Europa investiert. Beispiele sind der Ausbau von Autobahnen in Bangladesch und Russland oder die Schienenanbindung des Hafens von Piräus über Serbien und Ungarn Richtung Mitteleuropa. Allein in Afrika ist China am Bau und Betrieb von 45 Häfen beteiligt. China stellt in vielen Ländern auch die digitale Infrastruktur bereit und setzt so digitale Standards. Dazu finanziert China den Aufbau von Industrieparks.

Zu welchem Preis?

China hat die Länder oft mit langfristigen Krediten an sich gebunden. Auch die Beteiligungschancen für deutsche Firmen sind bei solchen Projekten begrenzt. Oft werden benötigte Güter und Arbeitskräfte aus China importiert. Wie sich der Einfluss künftig entwickeln wird, bleibt aber abzuwarten, denn zahlreiche Staaten sehen die wachsende Macht Chinas skeptisch. Gleichzeitig nimmt sie weiter zu, etwa bei internationalen Standards. China bringt sich bei den internationalen Normungsverfahren verstärkt ein und setzt, da man sich ja weltweit in Infrastrukturprojekten engagiert, auch eigene Standards vermehrt durch.

China kann sich die Projekte auch deshalb leisten, weil das Land auf vollen Kassen sitzt. Wie entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr?

Chinas Regierung hat im März ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwas über 6 Prozent anvisiert, die Weltbank sogar von 8,5 Prozent. Letzteres halte auch ich für wahrscheinlich. Dafür ist vor allem die starke Auslandsnachfrage nach chinesischen Gütern verantwortlich. Man darf auch die coronabedingten Basiseffekte nicht außer Acht lassen. Das Wachstum 2021 bemisst sich im Vergleich zum Vorjahr, zu dessen Beginn China im harten Lockdown gewesen war. Die starken Nachholeffekte werden sich über den Jahresverlauf aber abschwächen.

Und was erwarten Sie für das kommende Jahr?

Die Verhältnisse werden sich wieder normalisieren, die Weltbank geht für 2022 aktuell von 5,4 Prozent Wirtschaftswachstum aus. Das entspricht in etwa dem Vor-Corona-Niveau und auch den langfristigen Prognosen, die das chinesische Bruttoinlandsprodukt in einem Korridor von 5 bis 6 Prozent pro Jahr steigen sehen. Allerdings ist es gar nicht unbedingt erstrebenswert für Peking, ein höheres Wachstum als aktuell zu erreichen.

Was ist der Grund dafür?

China hat sich verpflichtet, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens umzusetzen. Bis 2060 will das Land klimaneutral sein. Je höher das Wirtschaftswachstum, desto höher sind die CO2-Emissionen. In diesem Spannungsverhältnis steht die Regierung.

Wie ernst ist es der Regierung mit dem klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft?

Sehr ernst. Das sieht man auch am aktuellen Fünfjahresplan, in dem Klimaziele eine wichtige Rolle spielen. Das Land ist führend bei der Steigerung der Energiegewinnung durch erneuerbare Energien wie Wind und Solar. Der Staat hat diese schon früh gefördert und macht das auch weiter, wie man aktuell bei der Unterstützung von Wasserstoffprojekten sieht. Allerdings ist China immer noch stark von fossilen Brennstoffen abhängig. Mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs werden mit Kohle, Öl und Gas gedeckt. Deswegen baut China weiterhin Kohlekraftwerke – und setzt auf Kernkraft, die in China als saubere Energiequelle gilt.

Braucht China zum Erreichen der Klimaziele noch Technik aus dem Ausland?

China möchte im Bereich Greentech der führende Hersteller werden. Im Solarbereich kontrolliert China bereits jetzt fast die gesamte Wertschöpfungskette. Bei Windkraft ist China ebenfalls sehr stark, benötigt aber noch bestimmte Komponenten aus dem Ausland. In den Branchen Recycling, Wasseraufbereitung und Filtertechnologie für Kraftwerke muss das Land stärker auch aus Deutschland einkaufen.

Wieso ist China beim Hightech so stark?

Die meisten Chinesen sind neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen. Bei der Einführung neuer Technologien, der Digitalisierung oder Elektromobilität wirkt China heute schon moderner als Deutschland. Zudem muss man sehen, dass die Regierung in Peking ein ganzes Bündel an wirtschaftspolitischen Maßnahmen verabschiedet hat, die den Technologiebereich stark fördern. Mit der Strategie „Made in China 2025“ möchte China zu einer Hightech-Nation aufsteigen. Die Regierung stellt Fördersummen in Billionen-Euro-Höhe bereit, die als strategisch wichtig identifizierten Industriezweigen zugutekommen.

Mit welchem konkreten Ziel?

Damit soll die Hightech-Produktion in China gefördert werden, insbesondere sollen Kernkomponenten selbst gefertigt werden, um die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Zudem werden zahlreiche Pilotzonen geschaffen, in denen man einfach neue Technologien und Regularien testen kann. Wenn diese erfolgreich sind, werden sie landesweit ausgerollt. In diesen Pilotzonen werden erfolgreich in- und ausländische innovative Unternehmen angesiedelt, die dort von Fördermitteln, Steuernachlässen und anderen Vorteilen profitieren. Es gibt zum Beispiel auch deutsch-chinesische Pilotzonen, wie den Ökopark in der Stadt Qingdao.

China war früher die Werkbank der Welt, heute verlegen deutsche Firmen, zum Beispiel Automobilbauer, Teile der Forschung und Entwicklung nach China.

Auf jeden Fall. Meist soll mit in China entwickelten Lösungen besser der lokale Markt bedient werden. Immerhin: Zum Teil sollen für China entwickelte Produkte, etwa im Bereich Automobilbau, jetzt auch stärker ins Ausland gehen. Wo China hingegen weniger stark ist, ist etwa die Grundlagenforschung.

In welchen Branchen produziert China denn gleichwertige oder bessere Produkte als Deutschland?

Ich hatte die erneuerbaren Energien mit Wind und Solar schon erwähnt. Im Bereich der Elektromobilität ist China führend bei Bussen. Und in Bereichen der Kommunikationstechnik hat sich China ebenfalls eine Spitzenrolle erarbeitet. 5G zum Beispiel.

Christina Otte

Deputy Director Ostasien bei der deutschen Wirtschaftsförderung Germany Trade & Invest.