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Research und Märkte

„Den Verdrängungseffekt nicht vergessen“

Legt die Wirtschaft einen Freudensprung hin, wenn Deutschland Europameister wird? Oliver Holtemöller, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, hat sich mit dem Zusammenhang zwischen Sport-Großereignissen und ihren volkswirtschaftlichen Effekten beschäftigt. Vor zu großer Euphorie warnt er.

Juni 2024

Interview mit Oliver Holtemöller, Professor für Volkswirtschaftslehre und Leiter Makroökonomik.


Herr Holtemöller, versetzen wir uns ins Fußball-Sommermärchen 2006 zurück. Nicht nur die deutsche Nationalmannschaft spielte überraschend stark auf, auch die Wirtschaft kam wieder in Form. Gab es da einen Zusammenhang?

Das ist in der Tat interessant und gut erforscht. Damals hatte der Aufschwung aber schon früher begonnen. Deutschland startete nach einer Schwächephase mit nur 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2005 gut in das Jahr 2006. Im Weltmeisterschaftsjahr 2006 betrug das Wachstum dann 3,6 Prozent.

Und besteht damit aus Ihrer Sicht ein Zusammenhang zwischen Wachstum und der damaligen Fußball-WM?

Eher nicht. Das Wachstum damals war getrieben von Investitionen und vom Außenhandel. Beides hatte nicht unmittelbar etwas mit dem Fußballturnier zu tun. So eine Weltmeisterschaft im eigenen Land müsste sich ja – wenn überhaupt – vor allem bei den Umsätzen im Handel und im Gastgewerbe bemerkbar machen. Und da gab es keine besonders auffällige Dynamik in den Sommermonaten. Die Konsumdynamik war sogar insgesamt schwach, weil die Realeinkommen durch hohe Energiepreise gedämpft wurden. Für die Konjunktur waren die starken Ausrüstungsinvestitionen wichtiger, die von Abschreibungserleichterungen und sinkenden Lohnstückkosten stimuliert wurden.

Demnach entstand damals Wachstum, weil sich Unternehmen neue Maschinen gekauft haben, die sie steuerlich schneller absetzen konnten. Aber was wissen Ökonomen generell über die Auswirkungen sportlicher Großereignisse? Und was bedeutet das konkret für diesen Sommer?

Einzelne Branchen profitieren von Sport-Großveranstaltungen. Gastgewerbe und Handel stehen während der Wettbewerbe im Vordergrund und in der Zeit davor vor allem das Baugewerbe. Aber das bedeutet nicht unbedingt mehr Wertschöpfung im ganzen Land. Denn was bei vielen Studien, die zu positiven Gesamtergebnissen kommen, oft vergessen wird, ist der Verdrängungseffekt.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Schauen wir uns den Tourismus an. Natürlich kommen Fußballtouristen aus den umliegenden Ländern. Aber wer mit Fußball nichts anzufangen weiß und stattdessen vielleicht auf Alte Meister und auf die Berliner Museumsinsel steht, der kommt in dem Zeitraum der Europameisterschaft lieber nicht. Auch ein Teil der Einheimischen meidet den Trubel lieber.

Oliver Holtemöller

Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Demnach bleibt ein positiver Effekt aus?

In der Regel gibt es keinen landesweiten positiven Konjunktur- oder Wachstumsimpuls durch Sport-Großveranstaltungen. Die tatsächlichen Kosten werden im Vorfeld oft dramatisch unterschätzt. Insgesamt gilt: Je weniger gut Land und Infrastruktur schon vorher entwickelt waren, desto teurer kommt einen so ein Sport-Großereignis zu stehen. Wo dagegen die Infrastruktur schon steht, gelingt es mit vergleichsweise weniger Mitteln, solche Events über die Bühne zu bringen. Die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 waren ökonomisch erfolgreich, Barcelona 1992 auch, jedenfalls für die Stadt. Die Spanier haben vieles ertüchtigt, was dann auch danach genutzt wurde und dauerhaft zur Blüte von Barcelona beigetragen hat. Das sogenannte Sommermärchen 2006 in Deutschland hatte dagegen keinen substanziellen Effekt auf die gesamte Wirtschaftsleistung hierzulande. Auch die Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien waren ökonomisch betrachtet für die Länder langfristig eher ein schlechtes Geschäft. Aber dass es etwas kostet, spricht ja nicht gegen das Ereignis.

Und dann fällt das erste Tor – gibt es messbare psychologische Effekte?

Es gibt messbare Stimmungsindikatoren und es wäre nicht unplausibel, wenn die ausschlagen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex etwa gehört dazu. Aber auch da lassen sich keine eindeutigen statistischen Zusammenhänge belegen. Mitte 2006 verschlechterte sich das Geschäftsklima sogar leicht.

Sie sprachen von einzelnen Branchen, die profitieren. Welche sind das?

Ganz eindeutig der Getränkeausschank – da gab es 2006 einen deutlichen Ausschlag nach oben. Einzelhandel und Gastgewerbe liegen vorn. Bei Restaurants dagegen sieht man fast nichts. Und oft geht das Umsatzplus eher auf Preiserhöhungen als auf Mengensteigerung zurück. Volkswirtschaftlich hinterlässt das aber kaum Spuren. Auch in der Unterhaltungselektronik können wir keinen nachhaltigen Effekt messen. Vor einer Weltmeisterschaft steigt zwar die Anzahl der verkauften TV-Geräte leicht, sie geht danach aber so deutlich zurück, dass das nur Vorzieheffekte sind: Das Gerät, das sowieso gekauft werden sollte, wird zwei Monate eher angeschafft. Was bleibt, ist die Bauwirtschaft. Dort sind die Investitionszyklen aber lang, und die messbaren Ausschläge mit Blick auf ein Großereignis können wir etwa zwei Jahre feststellen, bevor die Veranstaltung über die Bühne geht.

Was halten Sie davon, wenn Adidas bald nicht mehr Trikotlieferant und der chinesische Autohersteller BYD nun Hauptsponsor bei der Europameisterschaft ist?

Ich bin fassungslos – aber nicht über diese Entwicklung, sondern über die, die das kritisieren. Das ist ein ganz normaler marktwirtschaftlicher Prozess. Wenn andere Länder das auch so sähen wie einige hierzulande, dann dürfte ja zum Beispiel Adidas keine andere Nationalmannschaft als die deutsche ausrüsten. Aus ökonomischer Perspektive ist es gut, dass auch bei den Ausrüstern Wettbewerb besteht.

Quelle: fondsmagazin

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