Research und Märkte
„Ein Quäntchen Glück gehört dazu“
Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi über die Wirtschaftspolitik der USA und deren Auswirkungen auf Europa, über den Absturz von Kryptowährungen, über Männlichkeitskult und feministische Anlagepolitik.
Februar 2023
Interview mit Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi, Chief Executive Officer bei BeyondGlobal.
Frau Navidi, Sie waren in Davos und sind gerade in Deutschland. Wir sorgen uns hier vor einer massiven Wirtschaftskrise. Wie begründet ist diese Angst?
In Zeiten absoluter Ungewissheit und extremer Entwicklungen wie Boomzyklen, Finanzkrisen, Naturkatastrophen oder geopolitischer Konflikte neigen wir zu übersteigertem Pessimismus oder Optimismus. Hinzu kommen der Herdeninstinkt und die Medien, die rasend schnell Narrative verfestigen. Und manchmal dient die Verbreitung solcher Narrative auch noch eigennützigen Interessen. Zutreffend ist, dass die deutsche Wirtschaft mit ernsten Herausforderungen konfrontiert ist. Allerdings haben sich viele Unternehmen agil gezeigt, ihre Lieferketten umstrukturiert und Produktionsorte verlagert. Ein Quäntchen Glück gehört dazu, wie der zumindest bis Januar milde Winter und die abgeschwächte Energienachfrage aus China. Das hat die Situation entspannt. Natürlich – die Welt verändert sich, und der deutschen Exportwirtschaft stehen große Herausforderungen bevor. Aber die Unternehmen haben sich bisher widerstandsfähig gezeigt, und ich bin zuversichtlich, dass sie sich auch weiterhin gut schlagen werden, wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schafft.
Europas Wirtschaft ist eng mit der der USA verflochten, wo Sie leben. Dort haben sich Kennzahlen wie die Arbeitslosigkeit bereits verbessert. Was bedeutet das für die Zinsentwicklung in diesem Jahr?
Meiner Einschätzung nach ist in diesem Jahr nicht mit sinkenden Zinsen zu rechnen. Allerdings glaube ich auch nicht, dass die Fed die Zinsschraube überdrehen wird. Sie wird aufgrund der Konjunkturverlangsamung und des Zeitverzugs zwischen Zinserhöhungen und ihren Auswirkungen bedacht agieren.
Was dann an den Börsen gut ankommt.
Ja – und es würde sich auch positiv auf die Glaubwürdigkeit der Zentralbank auswirken. Sie hat unter ihrem verspäteten Handeln gelitten.
Die Europäische Zentralbank hat noch länger gewartet. Täuscht der Eindruck, dass uns die USA oft voraus sind? Wie erleben Sie Ihre Wahlheimat?
Ich habe gerade ein Buch über „Die DNA der USA“ geschrieben. Da erkläre ich genau das. Ich versuche vorurteilsfrei, den kollektiven amerikanischen Charakter nachzuzeichnen. Die Amerikaner sind enorm dynamisch und kreativ. Die Politik greift durch. Aber ich beleuchte auch, warum die größten Stärken der Amerikaner gleichzeitig ihre größten Schwächen sind, die in eine akute Krise ihrer Demokratie geführt haben. Mittels der amerikanischen Geschichte, Kultur und Weltanschauung analysiere ich, warum viele Amerikaner so anfällig für Desinformation, Propaganda und Extremismus sind. Es geht um die Hintergründe und unglaublichen Auswüchse des Kulturkriegs und der Formierung des religiösen Fundamentalismus, rechtsradikaler Kräfte, der toxischen Männlichkeitskultur und eines Waffenkults, in dem schon Mini-AR-15-Schnellfeuergewehre für Kinder vertrieben werden. Und natürlich auch die Auswirkung dieser Kultur auf die Wirtschaft und das transatlantische Verhältnis.
Damit üben Sie harte Kritik an den USA.
Das Schicksal meiner Wahlheimat liegt mir sehr am Herzen, aber ich habe die negativen Entwicklungen unmittelbar vor Ort erlebt.
Was bedeutet diese US-Politik denn nun für Deutschland und Europa?
Für Europa steht viel auf dem Spiel. Bidens Außenhandelspolitik ist gemäßigt protektionistisch. Er steht politisch unter Druck. Wenn die Wirtschaft schwächelt und die Arbeitslosigkeit steigt, steigen die Chancen für einen „trumpistischen“ Kandidaten. Da sich die Konjunktur bisher trotz der restriktiven Zentralbankpolitik wacker schlägt, hat Biden Spielraum, Europa etwas entgegenzukommen. Eine Abschottung, Marktfragmentierung und ein Subventionswettlauf würden sowohl Europa als auch den Vereinigten Staaten schaden.
„Die Marktteilnehmer sind historisch schlecht in der Einschätzung geopolitischer Krisen. Ein gewisser Gewöhnungseffekt tritt ein. Und der Markt hat sich etwas entspannt, weil die schlimmsten Erwartungen nicht eingetroffen sind.“
Chief Executive Officer der in New York ansässigen Unternehmensberatungsfirma BeyondGlobal.
Also wenig Anlass für Optimismus?
Doch, Amerikas Wirtschaft steht insgesamt robust da. Und Bidens „Inflationsreduzierungsgesetz“ fährt noch einmal ganz scharfe Geschütze auf, um das Land zukunftssicher zu machen. Hinzu kommen das „Infrastrukturgesetz“ und der „Chips and Science Act“, aufgrund dessen in den nächsten Jahren Milliarden in die heimische Halbleiterproduktion investiert werden. Es gibt die „Foreign Direct Production Rule“, wonach unter anderem keine amerikanischen Hochleistungschips und diesbezügliches Know-how exportiert werden dürfen, und den „National Critical Capabilities Defense Act“, der strategisch wichtige Lieferketten und Produkte sicherstellen soll. All das sind natürlich Wirtschaftsförderungsprogramme. Ganz generell muss man sagen, dass Amerika immer noch das IT-Zentrum der Welt ist. Ein Wettbewerbsvorteil ist auch die Agilität und Flexibilität der amerikanischen Gesellschaft. Dadurch, dass das Sozialsystem weniger gut ausgeprägt ist, sind die Menschen risikofreudiger und darauf angewiesen, sich durchzuschlagen. Das schafft eine Dynamik, die in Europa merklich schwächer ausgeprägt ist.
Okay. Und das größte Risiko dieser US-Politik – worin liegt das?
Das größte aktuelle Risiko ist eine Eskalation der Verhandlungen über das Schuldenlimit. Das ist die Genehmigung zur Zahlung von bereits gemachten Schulden. Regelmäßig versuchen die Republikaner die Demokraten mit einem potenziellen „Staatsbankrott“ zu erpressen. Bisher hat man immer noch in letzter Minute die Kurve bekommen, denn ein Zahlungsausfall der USA würde das weltweite Finanzsystem aus den Angeln heben. Die Demokraten haben noch etwas Zeit. Aber die Verhandlungen sind komplex, und weil dort auch viele andere Aspekte mit hineinspielen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Und ich dachte, das größte Risiko sei der Krieg in der Ukraine?
Für Biden ist der Ukrainekrieg äußerst inopportun. Ja, einige Industriezweige, wie Energie- und Rüstungskonzerne, profitieren von dem Konflikt. Aber der Krieg ist auch mit ein Grund für die gestiegene Inflation, und Biden muss der Bevölkerung die Milliardenhilfen für die Ukraine verkaufen. Das wird politisch immer schwieriger, vor allem, weil viele Republikaner gegensteuern. Sie fragen: Was haben wir mit dem Ukrainekrieg zu tun? Russland ist nicht unser Feind. Diese Milliarden sollten lieber für die eigene Bevölkerung investiert werden, anstatt sie im Ausland zu verschleudern, für ein Land, mit dem wir nichts zu tun haben. Diese Argumentation verfängt bei vielen Wählern.
Haben sich die Anlegerinnen und Anleger an den Krieg in Europa gewöhnt? Ist er sozusagen eingepreist?
Die Marktteilnehmer sind historisch schlecht in der Einschätzung geopolitischer Krisen. Ein gewisser Gewöhnungseffekt tritt ein. Und der Markt hat sich etwas entspannt, weil die schlimmsten Erwartungen nicht eingetroffen sind. Beispielsweise sind die Energiepreise aufgrund des bislang milden Winters und der verhaltenen Nachfrage aus China weniger stark gestiegen als befürchtet.
China hat ziemlich abrupt von einer Null-Covid- zu einer Covid-ist-uns-egal-Politik gewechselt. Beides wird hierzulande kritisiert. Was sind die mittelfristigen Folgen dieser chinesischen Politik für Wirtschaft und Börse?
Die Zentralisierung, die Machtkonzentration und die Willkür der chinesischen Politik befeuern die bereits bestehende Volatilität weiter. Das größte Risiko für die chinesische Wirtschaft ist der Mangel an wirksamen Impfstoffen. Eine Öffnung für westliche mRNA-Impfstoffe zeichnet sich noch nicht ab. Ob die chinesische mRNA-Impfstoff-Produktion zeitnah erfolgreich sein wird, ist gegenwärtig noch ungewiss. So bleibt abzuwarten, wie sich die Infektionslage nach dem „Superspreader-Event“ des chinesischen Neujahrs abzeichnet. Das Worst-Case-Szenario wäre das Entstehen impfresistenter Varianten.
Spielt die Pandemie an den Börsen sonst überhaupt noch eine Rolle?
Im Grunde nicht. Die Pandemie spielt für die Wirtschaft eine Rolle, aber die hat sich aufgrund der staatlichen Hilfen und mittels Lieferketten-Restrukturierung, fortschreitender Automatisierung und weiterer Innovation gut geschlagen.
Welche Assetklassen haben Sie 2023 besonders im Auge, wenn Sie auf die weltweiten Anlagemöglichkeiten schauen?
Der Sektor der erneuerbaren Energien bleibt attraktiv und wird auch besonders vom „Inflationsreduzierungsgesetz“ profitieren. Aber auch im Gesundheitswesen dürfte es durch die Konvergenz von Biotechnologie, künstlicher Intelligenz und Hochrechenleistung günstige Gelegenheiten geben. Die Aussichten im Technologiesektor bleiben trotz der zuletzt schlechten Performance insgesamt mittel- bis langfristig solide. Diese Unternehmen sind ideal aufgestellt, um sich kontinuierlich zu erneuern. Aufgrund ihrer Finanzstärke können sie aufkommende Konkurrenten absorbieren. Zu den vielversprechendsten Bereichen gehören das Cloud-Computing, die Halbleiterproduktion und Cybersicherheit. Auch Automatisierung und Elektromobilität bleiben weiter interessant.
Und was ist mit der Krypto-Welt? Krypto-Assets, also digitale Wertpapiere, sind ja ein spannendes Zukunftsthema, in der Öffentlichkeit wird aber derzeit noch eher auf spekulative Kryptowährungen wie Bitcoin & Co. geschaut. Können Sie da Anlegerinnen und Anlegern noch zuraten?
Auf die Goldgräberstimmung ist Ernüchterung gefolgt. Kryptowährungen sind immer noch auf der Suche nach einem Verwendungszweck. Betrugsfälle sind in diesem Sektor eher die Regel als die Ausnahme. Natürlich ist nicht jede Krypto-Unternehmung betrügerisch, aber Betrug scheint der einzige praktische Anwendungsfall zu sein. Denn als Zahlungsmittel eignen sich Kryptowährungen aufgrund ihrer Volatilität nicht, Verbraucherschutz ist nicht existent, der Missbrauch für illegale Aktivitäten wie Steuerflucht und über das Darknet für Ransomware, also digitale Erpressungen, floriert. Von der Energieeffizienz und dem Umweltschutzproblem mal ganz abgesehen. Wer Spielgeld übrig hat und zu faul ist, ins Casino zu gehen, der kann vom Sofa aus Kryptowährungen kaufen. Allerdings nur, wenn er den Verlust des eingesetzten Kapitals verschmerzen kann. Den normalen Privatanlegern ist von Kryptowährungen abzuraten.
Welche Rolle spielt Gold?
Gold wird seit jeher als eine klassische Inflationsabsicherung gesehen, obwohl historisch gesehen Goldkurs und Inflation nicht unbedingt in Korrelation stehen. Gold ist nicht nur ein Investment, sondern eine Weltanschauung. Es besitzt keinen intrinsischen Wert und kaum praktischen Nutzen. Sein Wert bestimmt sich im Wesentlichen aus Angebot und Nachfrage, und die hängt von der Investorenstimmung ab. Traditionell hat sich Gold aufgrund seiner kulturellen Verankerungen aber als Wertspeicher bewährt. Es ist eine Absicherung, da es auch in Katastrophenszenarien seinen Wert behalten und zum Teil sogar gesteigert hat. Die Ungewissheit im Hinblick auf potenzielle Handelskriege, schwächeres Weltwirtschaftswachstum, die weltweit hohen Staatsverschuldungen verstärken die Suche der Investoren nach einem sicheren Hafen. Grundsätzlich sind bei einer Anlage in Gold ein Langzeithorizont, Geduld und starke Nerven gefragt.
Eine Frage zum Schluss an Sie als Anlegerin: Wir hören derzeit viel von „feministischer“ Politik. Was meinen Sie: Gibt es eine spezifische feministische Anlagepolitik?
Wenn man einen Brand-Slogan prägt, der nicht offensichtlich verständlich ist, ist das subideal. Angesichts des gegenwärtigen Kulturkriegs um Werte und Moral polarisiert ein solcher Begriff eher und ist daher im Endeffekt kontraproduktiv. Manchmal ist es besser, Dinge zu machen, ohne sie zu labeln – und dazu gehört auch die Frauenförderung in der Wirtschaftspolitik. Bei Anlageentscheidungen von Frauen gibt es tatsächlich Besonderheiten zu beachten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff „feministisch“ die Essenz trifft.
Quelle: fondsmagazin
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