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Research und Märkte

In der Ruhe liegt die Kraft.

Trotz anspruchsvoller Rahmenbedingungen geht die Weltwirtschaft robust ins neue Jahr. Vor allem die USA werden auch 2024 ihren Anspruch als Wirtschaftsmotor der Welt erfüllen. Aber auch Euroland kann wieder mehr Wachstumskraft entfalten – in einem Umfeld, das von einem erfolgreichen Kampf gegen die Inflation geprägt ist. Wenn 2024 erneute Schicksalsschläge für die Weltwirtschaft ausbleiben, findet die Nach-Nullzinswelt ihre neue Balance.

Dezember 2023

Selbst die meisten US-Amerikaner wissen nicht viel über Oklahoma. Viel Wald, Prärie und Berge gibt’s – und wenig Menschen dort im Mittleren Westen der USA. Die wichtigsten Erzeugnisse aus dem „Land des roten Mannes“, wie das Indianerwort übersetzt heißt? Die kommen aus der Erde und heißen Öl, Gas, Kohle und Getreide. Großkonzerne aus anderen Branchen oder gar dem Ausland haben hier bisher kein Big Business. Geschäftsleute nennen solch große leere US-Regionen eher despektierlich „Flyover country“.

Aber ausgerechnet die Lufthansa landet hier immer öfter – denn in Tulsa baut die deutsche Fluggesellschaft gerade ihre Niederlassung für technische Wartung und Ersatzteile massiv aus. Niedrige Löhne, hohe Subventionen – und ein Standort im Herzen eines Landes, dessen Wirtschaft auch in den kommenden Jahren stärker wachsen wird als in Europa: Das sind starke Argumente für Oklahoma.

Aldi, Fresenius oder Siemens sehen das genauso und heuern Personal für ihr Abenteuer im Wilden Westen an. Zusammengenommen mehr als 300 Millionen Euro investieren die deutschen Schwergewichte in Niederlassungen, Logistikzentren oder Windparks – und damit in der menschenleeren Region. Die starke US-Konjunktur ist dabei auch ein wesentlicher Grund, warum 2023 für Firmen aus dem konjunkturell stagnierenden Europa wirtschaftlich noch ganz gut gelaufen ist. Und die Aussichten für das kommende Jahr sind weiter hoffnungsvoll.

Denn viele Unternehmen aus Deutschland und der Europäischen Union investieren verstärkt in den USA, dem wichtigsten Handelspartner für beide Regionen. Gerade deutsche Firmen pro­fitieren erheblich von dem florierenden Exportgeschäft mit den US-Amerikanern. Die deutschen Ausfuhren in die USA stiegen bis Oktober um rund 13 Prozent auf mehr als 110 Milliarden Euro, so das US-Handelsministerium. Auch andere EU-Unternehmen profi­tierten vom Nachfragesog aus Amerika.

Und der Trend bleibt stabil: Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka, bilanziert 2023 „für die USA ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent, das höchste unter allen Industrieländern“. Auch 2024 bleibe der Wachstumstrend erhalten, wenn auch abge­schwächt. Die USA profitieren von einer anhaltenden Dynamik in den Bereichen Technologie, Innovation und Digitalisierung, die von staatlichen Subventionen und Investitionen unterstützt wer­den. Zudem gebe es immer noch reichlich Erspartes aus Corona- Zeiten – und diese Milliarden aus den Lockdown-Zeiten geben die konsumfreudigen Amerikaner noch stärker als Europäer oder Ja­paner aus. Eine niedrige Arbeitslosigkeit und steigende Löhne kommen dazu.

Die USA bleiben damit der Motor der Weltwirtschaft, der auch andere Regionen mitzieht – und nicht zuletzt deren Aktien­markt. Die Börsen gehen rund um den Globus mit deutlich höhe­ren Kursen als zwölf Monate zuvor in das neue Jahr. Auch die anderen großen Weltregionen bis auf China laufen besser, als noch Ende vergangenen Jahres befürchtet, so die Experten. Das belege die hohe Widerstandskraft der Wirtschaft, so Kater.

Weltwirtschaft überraschend robust.

Denn die globalen Rahmenbedingungen geben auch in diesen Ta­gen keinen Rückenwind. Ukraine-Krieg, der Terrorangriff auf Israel und der Kampf gegen die Hamas in Gaza, Nachwirkungen von hoher Inflation und Corona-Pandemie; trotz alledem zeigt sich die Weltwirtschaft überraschend robust. Die globale Wachstumsrate lag 2023 bei 2,9 Prozent, etwas höher als im Vorjahr.

„Die weltpolitische Lage ist fragil“, urteilt die deutsche Wirt­schaftsweise Veronika Grimm und auch Experte Kater behält etwa den Rohöl-Preis als Indikator wachsender Schwankungen genau im Blick. Bei mehr als 120 US-Dollar für das Barrel wäre die Wirtschaft wieder im Krisenmodus, so Kater. Doch danach sehe es nicht aus – im Gegenteil. Selbst nach dem Terrorangriff auf Israel und den Folgen sind die Preise für das schwarze Gold deutlich gesunken. Ein Trend, der Zeichen setzt. Für 2024 habe die Weltwirtschaft gute Chancen, alle Wirtschaftsräume der Welt wieder in ruhigen Fahrwassern zu sehen. Die Deka prog­nostiziert ein weltweites Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent.

In Europa selbst erwartet die Deka für 2024 – wie auch Welt­bank oder Internationaler Währungsfonds – ein moderates Wachstum. Eine Erholung der Dienstleistungssektoren und eine ruhige Hand in der Geld- und Fiskalpolitik tragen die solide Ent­wicklung. Mit etwas schwächerer Ausprägung als in den USA gelten viele positive Faktoren wie robuster Privatkonsum, niedrige Arbeitslosigkeit oder steigende Löhne eben auch in Europa. Ex­perte Kater erklärt, warum die Dynamik auf dem alten Kontinent dennoch geringer als in den USA bleiben wird: „Ein wesentlicher Grund ist die Demografie: In den europäischen Ländern geht die Anzahl der Arbeitskräfte zurück, wogegen die Vereinigten Staa­ten auch von der Anzahl der Einwohner her ein wachsendes Land sind.“ Aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA mit mehr unternehmerischen Freiheiten würden sich positiv auf das Wachstum auswirken.

Aber Euroland hält grundsätzlich Schritt. In Frankreich oder Italien wird die konjunkturelle Erholung dabei auch 2024 etwas kräftiger vonstattengehen als in Deutschland, so Kater: „Das liegt am hohen Industrieanteil in Deutschland, für den sich die Nach­frage wohl erst mittelfristig wiederbeleben wird. Zum ande­ren entfalten in unseren Nachbarländern die Staatshaushalte stär­kere Nachfrageimpulse als in Deutschland.“ Dies könne jedoch nicht sehr lange anhalten, da die Haushaltsdefizite in diesen Län­dern auf Dauer zu hoch seien. Wenn sich auch die weltweite Nachfrage wieder nachhaltig belebt, dann sei die besonders starke industrielle Basis Deutschlands ein echter Vorteil für deutsche Fir­men – auch ein Grund, warum Katers Kollege Joachim Schallmay­er etwa die Dax-Werte für ein „echtes Value-Investment“ hält.

Fachleute beim DAX positiv gestimmt.

Der Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der Deka verzeichnet beim Dax einen Bewertungsabschlag, der „noch deutlicher als bei den europäischen Indizes ausfällt“ – und schon die seien histo­risch niedrig bewertet. Auch was die wirtschaftliche Substanz deutscher Firmen anbelangt, sind Experten positiv gestimmt. „Verglichen mit anderen Ländern steht Deutschland insgesamt gut da“, sagt auch Joachim Nagel, Präsident der Bundesbank. Dennoch müsse das Land sein bisheriges industrielles Geschäfts­modell überarbeiten, um auch langfristig gut dazustehen – Stich­wort: digital vernetzte und nachhaltige Transformation. Eine Ent­wicklung, die in den Unternehmen in vollem Gange ist.

Bei den politischen Rahmenbedingungen indes liegt nach wie vor vieles im Argen, so Kater: „Glaubt man den Standortverglei­chen der internationalen Organisationen und Instituten, so liegen die Hauptprobleme für Deutschlands Wirtschaft in den Bereichen Steuern, Arbeitskräfte, Bürokratie und Energie.“ Vielleicht auch ein Grund, warum deutsche Unternehmen so stark in Oklahoma und anderswo im Ausland investieren.

Nicht nur die Wirtschaftsweise Grimm fordert darum nun einen Befreiungsschlag bei den politischen Rahmen­bedingungen; ein Kunststück angesichts des Bundesverfassungs­gerichtsurteils, das die Umwidmung von 60 Milliarden Euro Coro­na-Krediten im Bundeshaushalt 2021 für nichtig erklärt hat. Die Bundesregierung sucht daher auch nach der Haushaltseinigung für 2024 nach neuen Finanzierungswegen für Klimaschutz und Modernisierung der Wirtschaft. Denn der Wegfall russischen Ga­ses hat Deutschland besonders getroffen und die energieintensive Industrie stehe laut Grimm vor großen Herausforderungen. Hinzu komme die regulatorische Unsicherheit.

Erst die Inflationsrate, dann der Zinssatz.

Das sehen in den kommenden Monaten wohl auch die Notenban­ker so. Die Deka-Volkswirte gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen bis Mitte 2024 stabil halten, in der zweiten Jahreshälfte aber senken und so das Wirtschaftswachstum unter­stützen wird. Denn der vielleicht größte Erfolg im Kampf gegen die Wirtschaftskrisen ist den Notenbanken mit ihrer bisherigen Zins­politik schon in weiten Teilen gelungen. Euroland liefert dafür ein leuchtendes Beispiel. Die Inflation ist hier schon zur Jahreswen­de wieder unter drei Prozent gesunken. 2024 wird sie nach der Deka-Prognose voraussichtlich bei 2,8 Prozent liegen. Und 2025 dürfte mit einem Wert von 2,2 Prozent sogar wieder das Stabili­tätskriterium der Notenbanker in Reichweite sein: die 2-Prozent- Linie. Und das ohne die befürchtete Rezession der Wirtschaft.

Die Experten der Deka erwarten, dass auch die US-Notenbank ihre restriktive Geldpolitik zunächst beibehalten wird, um die In­flationserwartungen zu stabilisieren. Denn noch ist der Kampf gegen die Geldentwertung nicht gewonnen: Experte Kater er­wartet „in den kommenden Jahren eher einen Inflationsdruck zwischen 2 und 4 Prozent, was den Notenbanken eine Rückkehr zu extrem niedrigen Zinsen für einige Jahre verstellen sollte“. So­lange nicht wieder ein Schreckensszenario von der Größenord­nung der Corona-Pandemie oder der Energiekrise auftritt, „blei­ben die Zinsen erst einmal erhalten“. Auch Jörg Boysen, Chefanlagestratege der Deka Investment, erwartet für 2024 nur erste leichte Zinssenkungen.

Erst in den Folgejahren werde es für die US-Zinsen substanziell nach unten gehen, gefolgt von ähnlichen Schritten in Euroland. Dieses vorsichtige Vorgehen hält auch Grimm für weise. Sonst könnte die Inflationsspirale wieder in Gang gesetzt werden – und die Konsumenten als große Stütze des Wachstums in den kom­menden Jahren ausfallen. Inflationsrate und Zinsen im Gleichge­wicht zu halten, das bleibe eine Herausforderung. Und Boysen gibt zu bedenken, dass „abzüglich Geldentwertung ein realer Ver­mögenszuwachs meist nur mit Aktien und Anleihen möglich ist“.

China muss sich neu erfinden.

In diesem Gleichklang der positiven Tendenzen gibt es erkennbar nur eine Region der wirtschaftlichen Misstöne: In China erwarten die Deka-Experten 4,5 Prozent Wachstum, das von einer Erholung der Verbraucherausgaben und der Investitionen in den Unterneh­men gestützt wird. Gemessen an den wirtschaftspolitischen Zielen – traditionell um die 8 Prozent – und auch dem diesjährigen Wert von 5,1 Prozent ist das weiter schwach. Eine womöglich noch stär­kere Abkühlung in China sei ein Hauptrisiko für die Weltwirtschaft, betonte eine OECD-Studie: „Hohe Schulden und der schwächeln­de Immobiliensektor sind bedeutende Herausforderungen.“

Die Deka erwartet daher, dass die chinesische Zentralbank weiter billiges Geld und niedrige Zinsen vorhalten wird, um das Wirtschaftswachstum und auch Krisenbranchen wie die Immobi­lienwirtschaft zu unterstützen.

„Die Wirtschaft dort muss sich ein Stück weit neu erfinden“, so Volkswirt Kater. Denn schwierig bleibt die Lage für Chinas Ex­porteure nicht zuletzt durch die Schranken, die die US-Politik Unternehmen aus dem Reich der Mitte auferlegt. Die US-Einfuh­ren aus China etwa gingen 2023 um ein Viertel zurück. Auch 2024 dürften chinesische High-Tech-Firmen wie Huawei oder Ten­cent von Aufträgen in den USA ausgesperrt bleiben.

Übrigens ist dieses Ausbremsen chinesischer Großkonzerne mittelbar auch ein Grund für die guten Geschäfte der Konkurren­ten aus Japan oder Europa. Firmen wie Adyen, Siemens, BBVA, Nokia oder Sanofi springen in Lücken, die China hinterlassen muss.

Ähnliche Gründe gibt es auch für die Wachstumsdynamik japani­scher Konzerne. Mit 1,3 Prozent ist auch dort zwar nur ein mo­derates Plus zu erwarten – aber immerhin haben die Japaner nach Jahrzehnten negativer oder Nullzinsen 2023 erstmals wieder eine Rückkehr der Leitzinsen verkraften müssen. Das wundersame Du­ett aus Konjunktur und Geldpolitik ist auch dort gelungen.

Nicht nur für Fachmann Kater ist es denn auch „die eigentli­che Überraschung des Jahres 2023, dass ökonomisch nichts wei­ter passiert ist“. Die großen Volkswirtschaften in Amerika und Europa wie auch viele Schwellenländer hätten den Zinsanstieg gut verkraftet. Die Unternehmen konnten die gestiegenen Kosten umwälzen und Rekordgewinne erzielen, die sich auch in den Bör­senkursen widerspiegelten. Eine Anerkennung der Anlegerinnen und Anleger für Firmen, die gut gewirtschaftet haben. „Die Fir­men sind auch von ihrer Finanzierung her solide aufgestellt“, so Kater. Deren Verschuldung sei – wie bei den privaten Haushalten auch – nicht zu hoch. Das sind gute Voraussetzungen, um sein Erspartes gezielt und mit langfristigem Fokus zu investieren: mit breit gestreuten Investments an den Aktienmärkten, aber nach der Rückkehr der Zinsen auch in Anleihen. „Vor allem europäische Unternehmensanleihen aus dem Hochzins-Segment dürften in den kommenden zwei Jahren hohe absolute Gesamtrenditen erwirt­schaften“, blickt Kapitalmarkt-Experte Schallmayer voraus. Mit Staatsanleihen aus Industrieländern lasse sich hingegen die Inflati­on auch auf absehbare Zeit kaum schlagen.

Neues Jahr, neue Möglichkeiten.

Das neue Jahr bietet daher in allen Weltregionen, verschie­densten Branchen und unterschiedlichen Anlageformen attrakti­ve Möglichkeiten; die grundsätzliche Mischung stimme jedenfalls, so Schallmayer. Gleichzeitig setzen Gewöhnungseffekte an das höhere Zinsniveau ein. „Bewertungskorrekturen von Vermögens­werten werden bilanzwirksam umgesetzt, steigende Mieten ma­chen Bauprojekte wieder rentabler, die lähmende Unsicherheit gegenüber der Zinsentwicklung nimmt ab.“ Und auf der Ange­botsseite hätten die Produktionsstörungen durch die Pandemie und die nachfolgende Energiekrise bereits deutlich nachgelassen.

Da hat auch Ulrich Kater aus volkswirtschaftlicher Sicht nur einen Wunsch an das kommende Jahr: „Alles, was die Weltwirt­schaft benötigt, ist eigentlich eine ereignislose Zeit, in der die Schockwellen der zurückliegenden Erschütterungen von Pande­mie und Geopolitik auslaufen können. Sie muss Zeit haben, sich auf einen neuen Normalzustand einzupendeln.“

Quelle: fondsmagazin

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