Research und Märkte
Mit Dynamik in die Zukunft
Die Olympischen Spiele in Tokio lenken den Fokus auf Japan. Doch Ostasien hat in China, Südkorea oder Taiwan weitere Kraftquellen hinzugewonnen, die Japan an Innovationskraft teils schon überholt haben. Auch Anlegerinnen und Anleger können an dieser Dynamik teilhaben.
August 2021
Der Xiangyang-Markt ist ein altehrwürdiger Platz in der Megacity Schanghai. In den engen Gässchen drängen sich Hunderte von Ständen: Tontöpfe, Fleischspießchen, Uhren, Singvögel, Bambuskörbchen … Es gibt nichts, was es nicht gibt. Wenn Matt Lei sich in seiner Heimatstadt durch die Menge treiben lässt, mit einem Drachenfrucht-Shake in der Hand, erlebt der Manager des Autoriesen SAIC ein China, das sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat.
Mit einer Ausnahme. Ob Snack oder Andenken, ob Anfahrt per U-Bahn oder Abfahrt per Carsharing, ob Covid-Test am Eingang des Marktes oder Rechnung im Restaurant – immer bestellt oder zahlt Lei per QR-Code. Um all diese Daten zu erfassen, reicht eine einzige App. WeChat ist aus dem Alltag der Chinesen nicht mehr wegzudenken. WeChat vereint Mobile Payment, Messenger und Videotelefonie, man kann damit Taxis oder Essen bestellen, Arzttermine buchen, Visa beantragen und Spiele spielen. „Dafür brauche ich in Europa ein Dutzend Apps”, sagt der Manager.
Im Alltag von mehr als einer Milliarde Chinesen ist die digitale Zukunft längst angekommen. Internet-Riesen wie Alibaba, Baidu, Tencent oder eben WeChat machen es möglich. Auch in Südkorea, Japan oder Taiwan ist die Vernetzung selbstverständlich. An der so technikaffinen Region Ostasien kommt niemand mehr vorbei, der sein Vermögen mehren will – auch als Anlegerin oder Anleger. Im Deka-Global ConvergenceAktien, so Fondsmanager Gero Stöckle, haben die fünf größten asiatischen Technologieunternehmen einen Anteil von mehr als 20 Prozent. Hierunter zählen neben den großen chinesischen Internetkonzernen auch Unternehmen aus Taiwan und Südkorea, wie etwa Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. oder Samsung Electronics. „Ich verwende rund 80 Prozent meiner Arbeit damit, innovative Firmen aller Größen aus ganz Asien für den Fonds zu finden”, sagt Stöckle. 2060 will das Land klimaneutral sein. Je höher das Wirtschaftswachstum, desto höher sind die CO2-Emissionen. In diesem Spannungsverhältnis steht die Regierung.
Willkommen im asiatischen Jahrhundert.
Für Peter Frankopan, Asien-Experte an der Universität Oxford, leben wir längst im „asiatischen Jahrhundert“ – schon allein wegen des immensen Wachstumspotenzials auf dem Kontinent. Noch liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur in Japan mit 40.000 Euro im Jahr ungefähr auf Augenhöhe mit Deutschland. In Taiwan und Südkorea liegt der Wert ein Drittel darunter, in China sind es sogar lediglich 17.200 Euro pro Kopf. Bis 2050 aber werde der Betrag in Asien wohl stark wachsen. „Dann wären zusätzliche drei Milliarden Asiaten wohlhabend“, so Frankopan.
Aber die Unternehmen aus den aufstrebenden Kraftzentren Asiens wollen nach dem Vorbild Japans seit Anfang der 60er-Jahre noch mehr: Auf Basis staatlicher Masterpläne in Südkorea, Taiwan und China soll der globale Markt erobert werden – mit Produkten und Dienstleistungen auf Weltniveau. In Industrien wie Maschinenbau, Fotovoltaik, Mobilität oder Pharma ist „Made in Asia” längst führend. Die Chips oder Batterien, die die europäische oder die US-Wirtschaft antreiben, kommen fast alle aus Asien. Taiwan Semiconductor zum Beispiel ist der weltgrößte Auftragsfertiger für Hochleistungschips. Samsung liegt bei den verkauften Smartphones deutlich vor Apple, zwischen die beiden hat sich jetzt die chinesische Xiaomi gedrängt. Und bei Wasserstoffinfrastruktur ist Japan längst viel weiter als der Rest der Welt.
Gerade Japan aber galt noch in den 1960ern als Land der Produktfälscher und des Elektronik-Ramsches: Frankreichs Präsident Charles de Gaulle spottete über das „Volk von Transistorhändlern“, die ersten Hondas und Nissans wurden als „Reisschüsseln” verunglimpft. Auf gute Qualität zum niedrigen Preis folgten echte Innovationen wie Walkman, Hybrid-Autos oder LED. Und aus den Anbietern wurden Weltkonzerne wie Sony, Toyota und Nintendo.
Das Klischee vom „Asian Copyshop” ging an andere über, etwa an Südkorea, Hongkong, China, Taiwan oder Vietnam. Der Elektronikkonzern Gold Star benannte sich auch deshalb in LG um, weil das Image des alten Markennamens nicht mehr der stark gestiegenen Qualität der Erzeugnisse entsprach. Heute unterschätzt niemand mehr Ostasien – es gibt einfach zu viel zu gewinnen im größten Markt der Welt. Anlegerinnen und Anleger finden darum bei der Deka vielfältige Anlageprodukte, mit denen sie am Boom teilhaben können.
Ostasien ist die Region mit der höchsten Wirtschaftsdynamik. „Das wird in den kommenden Jahren so bleiben”, prognostiziert Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmarkt und Strategie der DekaBank. Auch wenn einige Länder der bevölkerungsreichsten Region wieder mit steigenden Coronazahlen zu kämpfen haben. „Die Inzidenzen werden die Wirtschaftsdynamik aber höchstens etwas abbremsen“, analysiert er. In dem im Juni veröffentlichten aktuellen World Competitiveness Ranking, einer Rangliste der 60 wettbewerbsfähigsten Länder, liegen mit Singapur auf Platz 4, Hongkong auf Rang 7 und Taiwan auf Platz 8 gleich drei ost- oder südostasiatische Standorte unter den Top Ten. Die Volksrepublik China befindet sich schon auf Rang 16, nur einen Platz hinter Deutschland.
Chinas Wirtschaft, die 17 Prozent des globalen BIP repräsentiert, hat nach kurzem coronabedingten Einbruch schnell Tritt gefasst und wächst 2021 mit 8,5 Prozent fast doppelt so schnell wie die klassischen Industrienationen. In den nächsten Jahren dürfte sie laut Schallmayer zudem „von Produktivitätsfortschritten gestützt bleiben; die Regierung hat die Förderung innovativer Technik zu einem Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik gemacht: künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und Kernfusion etwa.“
Nicht nur in Chinas Nachbarländern bestimmt das Riesenreich mit seiner Nachfrage- und Angebotsmacht oft schon über Wohl und Weh der Wirtschaft. „Chinas Einfluss hat sich in vielen Teilen der Welt erhöht“, erklärt Christina Otte, Deputy Director Ostasien bei der deutschen Wirtschaftsförderung Germany Trade & Invest. Nicht zuletzt durch das Riesenvorhaben „Neue Seidenstraße“. Mehr als 800 Milliarden Euro investiert China, um die wichtigsten Handelsrouten des Mittelalters zwischen Fernost und Europa wiederzubeleben – und den asiatischen Markt für sich besser zu erschließen. 900 Projekte in Verkehr, Infrastruktur und Energie in mehr als vier Dutzend Ländern zwischen Kasachstan, Sri Lanka und Italien sollen den Handel ankurbeln. Über ein globales Handelsnetzwerk können so bis 2049 knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung vom Reich der Mitte aus erreicht werden.
Das Freihandelsabkommen RCEP, das 15 asiatische Länder ratifiziert haben, stärkt zudem die regionale Zusammenarbeit. Dadurch soll das Wirtschaftswachstum schneller steigen. Dabei ist der Markt für deutsche Firmen schon jetzt sehr attraktiv. Im ersten Halbjahr 2020 lag der Anteil der deutschen Gesamtexporte in die Länder Ost- und Südostasiens, zuzüglich Australien und Neuseeland, bei 16 Prozent.
Vorsprung durch Technik aus Asien.
Genau wie asiatische Größen à la Toshiba, Toyota oder Lenovo produzieren auch europäische Unternehmen zudem immer mehr in kostengünstigen Ländern wie Thailand, Vietnam oder Bangladesch. Das trägt zum Aufschwung dort bei. Zugleich rückt mit den Möglichkeiten, in interessante Firmen zu investieren, auch verantwortliches Handeln etwa bei Arbeitsbedingungen oder ökologischen Folgen in den Fokus. Aktives Fondsmanagement achte auch hier auf die richtige Mischung, so Deka-Experte Stöckle. Ebenso gelten etwa die Grundsätze, Hersteller von geächteten und kontroversen Waffen auszuschließen. Die Deka-Gruppe investiert auch nicht in Unternehmen mit eklatanten Verstößen gegen Menschenrechte. Bei der Rohstoffgewinnung ist etwa wichtig, unter welchen Bedingungen in Bergwerken gearbeitet wird.
Und Ostasien ist ein Rohstoff-Mekka. Darum ist die Region auch als Beschaffungsmarkt für die ganze Weltwirtschaft bedeutend. Das ist aktuell bei der E-Mobilität sichtbar. China ist der wichtigste Förderer von Lithium. Das Alkalimetall ist unerlässlich, um daraus die Lithium-Ionen-Batterien zu bauen, mit denen hochwertige Elektroautos angetrieben werden. Der Batteriekonzern CATL beliefert beispielsweise Abnehmer wie VW, GM oder Stellantis mit Batterien. In deren Heimatländern in Nordamerika und Europa gibt es noch kaum eine eigene Batteriezellfertigung.
Der Vorsprung durch Technik ist kein Wunder. Denn die Forschung ist top. Bei den Patentanmeldungen dominieren schon heute asiatische Anmelder die Statistik. Mit 52,4 Prozent kamen 2019 mehr als die Hälfte aus Asien. China überholte hier die USA. Die liegen nun auf Platz zwei vor Japan. Dicht dahinter Südkorea. Die Innovationskraft ist unübersehbar: Allein in China sind mehr Solarzellen verbaut als in ganz Europa. Und auch bei neuen Trends wie nachhaltiger und biologisch produzierter Kosmetik sind Firmen aus Südkorea oder Japan innovativ. „Auch die heimischen Konsumenten werden dabei mit dem wachsenden Wohlstand in der Region immer wichtiger und wählerischer”, so Stöckle. Zudem setzen sie nicht mehr automatisch auf die früher gültige Gleichung „hochwertig, das heißt: aus Europa oder den USA”.
Nicht zu vergessen sei, was Professor Frankopan betont: Immer mehr Unternehmen und Marken aus westlichen Industrieländern sind zumindest teilweise in asiatischer Hand – vom Musikkonzern Warner Music über New Yorker Hotels bis zu Produzenten von edlen Weinen. Und sie passen ihre Produkte dem Geschmack und der Kultur der größten Kundenkreise in Ostasien an – darauf ein Glas Château Antilope Tibétaine. Das Weingut im Médoc gehört schon lange dem chinesischen Biotech-Konzern Quantum Hi-Tech Group.
Manch betagte Marke aus Europa hat sogar nur deswegen eine Zukunft, weil ihr Name weltbekannt ist: „Wir wollten den Markennamen MG“, gibt SAIC-Manager Matt Lei zu. Der Chinese ist Europachef des britischen Automobilklassikers. Die fast 100 Jahre alte Marke gehört seit einigen Jahren dem chinesischen Konzern, der sie aus der Pleite gerettet hat. Jetzt soll Lei in Europa mit SUV und Kombis Marke MG wieder gute Geschäfte machen. Die Autos fahren alle elektrisch, sind vernetzt, erfüllen die höchsten EU-Sicherheitsstandards – und sind „Made in China”.