Research und Märkte
Bundestagswahl: Marktauswirkungen gering
Volkswirtschaftlicher Ausblick mit Dr. Ulrich Kater
August 2021
Nach insgesamt 12 Jahren innerhalb der Amtsperiode von Kanzlerin Merkel hat das „große“ Regierungsbündnis zwischen CDU/CSU und SPD stetig an Zustimmung verloren: von 69,4 % 2005 auf nur noch 45 % nach den aktuellen Umfragen. Und so bedarf es zum Regieren erstmals in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl eines weiteren Partners. Eine solche neue Form der Großen Koalition wird dazu führen, dass der jeweilige Markenkern der die „Volksparteien“ noch schwieriger zu erkennen sein wird. Bliebe es bei den gegenwärtigen Umfrageergebnissen, wäre die Union (knapp) die wählerstärkste Partei und würde die Koalitionspartner auswählen. Betrachtet man die Wahlprogramme der großen Parteien, so gibt es nach wie vor zwei Lager: das „bürgerliche“ Lager aus den Unionsparteien und den Freidemokraten und das „linke“ Lager aus den Grünen, der SPD und der Linkspartei. Von daher wäre eine FDP-Beteiligung an der Regierung wahrscheinlich und die größte Frage, ob der dritte Partner die SPD (Ampel) oder die Grünen (Jamaika) sein werden. Nimmt man die Umfragen und Wahlprogramme zusammen, so ist nach aktuellem Stand eine Jamaika-Koalition das wahrscheinlichste Ergebnis der Bundestagswahl. Doch der Weg bis dahin kann wieder einmal ein langer werden. In den vergangenen Legislaturperioden hat die Dauer bis zur Regierungsbildung stark zugenommen: lag bis in dies 90er Jahre noch ein guter Monat zwischen Wahl und Kanzlervereidigung, waren dies ab dem Jahr 2000 durchschnittlich mehr als 70 Tage. Mit drei Parteien dürfte dies gewiß nicht einfacher werden.
Die Auswirkungen von Wahlentscheidungen auf die Finanzmärkte werden allgemein stark überschätzt. Weder in Deutschland noch in den USA sind in den letzten Jahrzehnten starke Ausschläge an den Aktienmärkten selbst im unmittelbaren Umfeld der Wahl zu beobachten gewesen. In Deutschland wurde selbst bei wichtigen „Richtungswahlen“ der vergangenen Jahrzehnte der ohnehin herrschende Trend am Aktienmarkt nicht verändert: Die Performance des deutschen Leitindex hatte in den drei Monaten vor und nach der Wahl jeweils das gleiche Vorzeichen. Sofern überhaupt Politik-Erwartungen hierbei eine Rolle gespielt haben, erscheint es so als wären Regierungen mit der SPD als Hauptakteur vom Aktienmarkt eher skeptischer, also mit Abschlägen im Umfeld der Wahl, begrüßt worden und umgekehrt CDU/CSU-geführte Koalitionen von einem steigenden Kurstrend begleitet worden. Lediglich die Regierung Schröder konnte diese Standardeinschätzung relativ schnell widerlegen: Sie stellt das einzige Beispiel dar, wo sich der Kurstrend vor der Wahl (nach unten im Herbst 1998) danach drehte. Im Allgemeinen bleibt jedoch ein Aktientrend von vor einer Bundestagswahl auch danach erhalten. Das liegt hauptsächlich daran, dass bei allen Unterschieden in wirtschaftlichen Einzelfragen der große Rahmen der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung von einem überwältigenden Teil des politischen Spektrums in Deutschland nicht infrage gestellt wird. Wachstums- und Inflationstrends hängen darüber hinaus noch von vielen anderen Bedingungen ab als dem Handeln einer einzelnen Regierung: Hält sich dieses Regierungshandeln innerhalb gewisser marktwirtschaftlicher Leitplanken, dann sind es eher konjunkturzyklische Faktoren, die mittelfristig den Verlauf der Märkte bestimmen. Eine direktere Beeinflussung von Aktienwerten liegt mitunter höchstens auf der Ebene einzelner Branchen oder sogar Unternehmen vor, die hin und wieder von einzelnen Punkten in Wahlprogrammen begünstigt oder benach-teiligt werden. Für die deutsche Volkswirtschaft und ihren Kapitalmarkt gilt darüber hinaus, dass sie mittlerweile ein integraler Bestandteil der europäischen Märkte geworden sind. Gerade die gegenwärtige Stabilität der europäischen Kapitalmärkte sind ohne die deutsche Unterstützung undenkbar. Von daher sind bei europäischen Wahlen die größten Kapitalmarktwirkungen zu erwarten, wenn die Bereitschaft zur europäischen Integration auf dem Spiel steht. In Deutschland wäre dies nur bei einer Regierungsbeteiligung der AfD gegeben, was angesichts der Umfragewerte für diese Bundestagswahl als ausgeschlossen gelten kann.