Sportlich, sportlich!
Wie die Digitalisierung die Stadien verwandelt.
Fußball ist nicht nur Sport oder Hobby, sondern auch ein Produkt mit einem riesigen Markt – die Digitalisierung sorgt auch hier für optimierte, individuellere Dienstleistungen, bessere Erreichbarkeit der Kunden (Fans) und steigert die Effizienz bei Prozessen.
Aufgeregt sitzen die beiden Kinder auf der Rückbank. Gemeinsam mit ihrem Vater sind sie auf dem Weg ins Stadion der Eintracht Frankfurt. Während sich auf der A5 eine halbe Stunde vor Anpfiff die Anfahrt zum Stadion wieder mal verzögert und die Kinder quengelnd wiederholt die Frage „Wann sind wir endlich da, Papa?“ stellen, schaut der Vater ganz entspannt auf sein Smartphone. In der Eintracht-App sind bereits ihre Tickets mit den Plätzen und den passenden Zugängen hinterlegt, und mit einem Klick zeigt die App dem Familienvater die schnellste Möglichkeit, zum vorher gebuchten kinderfreundlichen Parkplatz in direkter Sitzplatznähe zu gelangen, inklusive Stauumfahrung. Vom Parkplatz aus führt die App die Familie auf dem schnellsten Weg zur nächstgelegenen kontaktlosen Einlasskontrolle. Innerhalb weniger Minuten sind die Drei von der Autobahn ins Stadion gelangt. Dort möchten die Kinder noch schnell mit den neuesten Schals und Trikots ihrer Lieblingsspieler ausgestattet werden. Kein Problem. Die App weiß, welcher mobile Fanshop auf dem Weg zum Platz im Stadion die besten Angebote hat. Per Instant Payment sind die Fanartikel schnell gekauft und bezahlt. Doch die ganze Aufregung hat die Kinder hungrig gemacht – schnell werden, ebenfalls per App, noch Bratwurst mit Softdrink bestellt, bezahlt und umgehend an den Platz geliefert. Pünktlich zum Anpfiff sind die drei Eintracht-Fans nun bereit für das Spiel. Vor ihnen am Platz befinden sich Virtual Reality Brillen, mit denen sie die wichtigsten und spannendsten Spielszenen aus jeder Perspektive, auch der des Trainers, anschauen und diese nach dem Spiel sogar nachspielen können.
Ein fiktives Szenario, das sich die Redaktion von „Markt & Impuls“ hier für einen ganz normalen Bundesligasamstag im Jahr 2024 ausgedacht hat. Was aber heute noch wie ferne Zukunftsmusik klingt, könnte schon in wenigen Jahren Alltag in vielen Bundesligastadien sein.
Bundesliga goes Start-Up.
„Die EM 2024 wird dem digitalen Stadionerlebnis in Deutschland einen Schub geben“, ist Digitalisierungsexperte Matthias Hübner, Mitglied im Beirat der Eintracht Frankfurt Fußball AG, überzeugt. Er sieht in der Digitalisierung nicht nur Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Spielern oder von internen Prozessen, sondern auch erhebliches Potenzial für die Stärkung der Interaktion zwischen Fans und Vereinen.
Start-Ups kommt aufgrund ihrer Kreativität bei der Digitalisierungsoffensive der Bundesliga eine zentrale Rolle zu. Immer mehr Bundesligisten suchen vor diesem Hintergrund eine Zusammenarbeit mit den Jungunternehmen. So veranstaltete der FC Bayern München im Januar 2018 einen so genannten Hackathon, bei dem Entwickler aus der ganzen Welt zusammen mit Sponsoren und Partnern an Ideen für neue Geschäftsmodellen arbeiteten. Eintracht Frankfurt geht sogar noch einen Schritt weiter und unterhält nicht nur ein Boot Camp in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Start-Up-Hub TechQuartier, sondern arbeitet auch intensiv an verschiedenen digitalen Partnerschaften mit Sponsoren sowie einer digitalen Aufrüstung des Stadions und mobilen Zahlungslösungen. Auch die Dachverbände Deutscher Fußballbund (DFB) und Deutsche Fußballliga (DFL) fördern verschiedenste digitale Projekte wie die digitale Erfassung von Spielerdaten über ein Partner-Start-Up oder einen digitalisierten Vertrieb der Bundesliga-Rechte zu mehr Mobile, Streaming und Audio.
"Die Schnellen fressen die Langsamen, nicht die Großen die Kleinen."
Gerade das Beispiel Eintracht Frankfurt zeigt, dass auch Vereine aus dem „Mittelstand“ der Bundesliga die Möglichkeit haben, Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um gegenüber den großen Klubs aufzuholen. „Die Schnellen fressen die Langsamen, nicht die Großen die Kleinen“, unterstreicht Hübner und verdeutlicht damit, worauf es bei der Digitalisierung ankommt. Gelingt es Bundesligavereinen, digitale Plattformen zu etablieren, profitieren nicht nur die Klubs davon, sondern auch die Partner-Start-Ups. Das Modell gewinnt daher deutlich an Attraktivität. Im europäischen Sportbereich gibt es mittlerweile eine sehr vitale Start-Up-Szene. Der European SportsTech Report 2018 zählt bereits mehr als 1.000 Firmen in Europa, wobei Deutschland im europäischen Vergleich auf dem vierten Platz rangiert. Spitzenreiter ist Großbritannien. Das attraktive Umsatzpotenzial animiert viele Entwickler, speziell auf den Fußball ausgerichtete digitale Lösungen zu entwickeln.
eSports als Treiber für die Erschließung neuer Fanpotenziale.
Ein neuer Bereich, um Anhänger zu gewinnen, ist die Wachstumsbranche eSports. Dabei treten mehrere Spieler bei Computerspielen gegeneinander an. Mittlerweile betreiben elf Erst- und Zweitligaklubs offizielle Mannschaften und haben professionelle Spieler unter Vertrag, Hertha BSC unterhält eine eSports-Akademie, von der man sich erhofft, junge Talente zwischen zwölf und 18 Jahren zu Profi-eSportlern entwickeln zu können. Der FC Schalke 04 gehört mit seinem eSports-Team sogar der europäischen eSports-Profiliga League of Legends European Championship an. Das Gemeinschaftserlebnis spielt eine wichtige Rolle für die wachsende Attraktivität des eSports. Veranstaltungen wie die Electronic Sports League ESL One in Hamburg am letzten Oktoberwochenende 2018 zeigen: eSports-Treffen ziehen mittlerweile auch in Deutschland Zuschauerzahlen im fünfstelligen Bereich an. Über eine eSports-Präsenz können sich Profiklubs neue Fans in der Zielgruppe der 16- bis 25-Jährigen erschließen. Mit der bereits 2012 gegründeten Virtual Bundesliga (VBL) richtet die DFL sogar eine offizielle Deutsche Meisterschaft aus. In dieser Liga treten Spieler in den Farben eines Klubs aus der 1. oder 2. Bundesliga gegeneinander an. Sie kämpfen dabei um Preisgelder von rund 45.000 Euro, die Teilnehmerzahlen wachsen rasant und lagen im Herbst 2018 bei 150.000 Spielern aller Altersklassen. Gespielt wurde in der Saison 2017/18 auf der PlayStation 4 und der Xbox One. Über das Potenzial und die Nutzbarkeit von eSports für die Eigenmarke ist die Bundesliga noch uneins. Schalke 04 und der VfL Wolfsburg haben sich bereits zu etablierten eSports-Größen im Fußball entwickelt, die Dortmunder Borussia und Eintracht Frankfurt stehen erst am Anfang. Andere Vereine wie der FC Bayern München verschließen sich dem Thema bisher komplett.
Faszination eSports.
Events wie ESL One bringen tausende von meist jugendlichen Fans in die großen Veranstaltungshallen, wie hier in die Kölner LANXESS Arena.
Virtual Reality und Social Media stärken die Beziehung zwischen Verein und Fans.
Einigkeit herrscht unter den Vereinen der Bundesliga hingegen über die Möglichkeiten, die Social Media-Kanäle und Virtual Reality-Angebote für das Erlebnis „Fußball“ bieten. „Insbesondere zwischen den sportlichen Events spielen Social Media wie Facebook, Instagram, YouTube oder Twitter eine große Rolle – und zwar nicht nur als Nachrichtenquelle, sondern vor allem für Interaktionen mit den Fans, sei es über Gewinnspiele oder gemeinsame Aktionen mit Sponsoren”, erläutert Hübner. Entscheidend für eine erfolgreiche Nutzung der Potenziale aus der Digitalisierung sind – neben der Strahlkraft der Marke – der Content und die Philosophie des Vereins. „Bietet ein Klub wenig kreative sowie authentische Inhalte, bringen die besten Kanäle nichts“, betont Hübner. „Digitalisierung ist in erster Linie eine Haltung, die auf Offenheit, Transparenz und Unmittelbarkeit setzt. Das gilt in der Wirtschaft wie im Fußball.“ Dementsprechend werden aus seiner Sicht diejenigen Vereine bei der Digitalisierung am erfolgreichsten sein, welche die digitalen Kanäle als Plattformen und als interaktive Begegnungsstätten mit ihren Fans auf Augenhöhe verstehen und gestalten. Für diese Vereine sieht Hübner auch nicht die Gefahr, dass Digitalisierung zu einer wachsenden Entfremdung zwischen Vereinen und Fans führen könnte. Im Gegenteil: Strategisch klug eingesetzt können die digitalen Möglichkeiten sogar zu einer Stärkung der Bindung mit den Fans führen.
Investoren entdecken die Potenziale der Digitalisierung im Profifußball.
Das wirtschaftliche Potenzial der Digitalisierung in der Bundesliga scheint enorm. Kein Wunder, dass sich immer mehr Investoren dafür interessieren. Neben den für Start-Ups klassischen Kapitalgebern wie Venture Capital Fonds interessieren sich zunehmend etablierte und namhafte Player aus dem Sport- und Fußballbereich für Engagements rund um die Digitalisierung im Sport. Auch die DFL hat die strategische Relevanz der Digitalisierung für die Bundesliga erkannt und plant im Rahmen von „DFL for Equity” verschiedene strategische Beteiligungen an Start-Ups und Mittelständlern. Und unter dem Namen leAD Sports in Berlin haben die Erben von Adidas-Gründer Adi Dassler einen Accelerator zur Unterstützung junger Unternehmer im Sportbereich gegründet. Schon bei der ersten Runde im Jahr 2017 haben sich mehr als 500 Sport-Start-Ups weltweit beworben, von denen 15 Firmen für das Förderprogramm ausgewählt wurden.
Es geht um das „Wie“, nicht um das „Ob“.
An einer Digitalisierungsoffensive führt für die Bundesliga kein Weg vorbei, schon alleine um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Frage ist nicht das „Ob“, sondern das „Wie“. Wer seine digitale Präsenz auf die eigene Marken-DNA ausrichtet, bleibt authentisch und stärkt seine Marke. Vereine, die hingegen Digitalisierung als Selbstzweck begreifen und glauben, dass hippe Features bereits ausreichen, um sich im 21. Jahrhundert erfolgreich zu positionieren, laufen ins Abseits. „Digitalisierung ist eine Haltung“, resümiert Hübner, der hofft, dass „seine“ Frankfurter Eintracht eines Tages nicht nur digital, sondern auch sportlich in der Champions League vertreten sein wird.
Matthias Hübner.
ist Mitglied im Beirat der Eintracht Frankfurt Fußball AG und begleitet als Mentor des Accelerators leAD Sports in Berlin junge Unternehmen im Sportbereich. Hauptberuflich ist er Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman in Frankfurt und berät Finanzdienstleister vor allem zu Fragen der Digitalisierung.