Impuls
Inflation und Niedrigzins – ein Schreckensszenario?
September 2021
Die 2020 langsam wieder aufkeimende Weltwirtschaft wurde durch die Corona-Pandemie schlagartig künstlich in einen Ruhezustand versetzt. Die dadurch ausgelösten Verwerfungen – auch an den Kapitalmärkten – können zweifelsohne schon heute als historisch bezeichnet werden. In einem bislang ungekannten Ausmaß und einer nie da gewesenen Geschwindigkeit wurde jedoch von Staaten und Notenbanken reagiert. Nach den ersten harten Schließungsmaßnahmen konnten sich mit den Lockerungen der Restriktionen die Unternehmensgewinne wieder rasant erholen. Die aufgestaute Nachfrage führte zu zusätzlichen Aufwärtsimpulsen, die sich auch in einem Preisanstieg widerspiegeln. Durch die Juni-Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), zukünftig eine moderat über 2 Prozent liegende Inflationsraten zu tolerieren, wird der Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsniveau gelockert. Der Möglichkeit, die Zinsen noch länger niedrig zu halten und gleichzeitig höhere Inflationsraten zuzulassen, wurde damit die Tür geöffnet. Für institutionelle Investoren eine weitere Herausforderung in einem ohnehin schon schwierigen Marktumfeld.
Bislang gehen die meisten Zentralbanken davon aus, dass der Preisdruck von vorrübergehender Natur ist. Für einen langfristigen Anstieg der Inflationsrate müsste die Corona-Krise zu Strukturbrüchen geführt haben, die andauernde Lohnsteigerungen befeuern. Ansonsten wird der Preisanstieg eher vorübergehend sein und durch den Wettbewerb stark begrenzt werden. Auch wenn dies das Basisszenario der meisten Anleger ist, sollten sie sich mit den Folgen einer unerwartet höheren Inflationsrate auseinandersetzen.
Schon vor den Kapitalmarktverwerfungen durch die Pandemie war die Kapitalanlage institutioneller Investoren herausfordernd. Vor zehn Jahren lag die Renditeerwartung 10-jähriger Bundesanleihen noch bei circa 3 Prozent. Seitdem haben sich die Renditeerwartungen für Anleihen, aber auch für viele andere Anlageklassen, jedoch sukzessive verringert. Natürlich haben die Investoren auf die Veränderungen an den Kapitalmärkten reagiert: So reduzierten Pensionskassen ihre Anleiheinvestments durchschnittlich um circa 15 Prozent. Dafür wurden die Aktien- und Immobilienquoten sowie neue Anlageklassen im illiquiden Bereich aufgebaut. Bei Stiftungen fielen die Anpassungen geringer aus. Sie allokierten zwischen 5 bis 10 Prozent aus dem Anleihebereich in Alternatives – bei weitgehend unveränderter Aktienquote. Insgesamt haben sämtliche Investoren innerhalb des Anleihebereichs ihre Quoten in Staatsanleihen verringert und ihre Engagements in Richtung Schwellenländer, Unternehmensanleihen oder High Yields ausgeweitet. Dadurch konnten viele Investorengruppen zwar ihre Renditeerwartung erhöhen, trotzdem können Pensionskassen aktuell durchschnittlich gerade einmal eine langfristige Rendite von circa 1,6 Prozent erwarten. Für Stiftungen liegt diese immerhin noch knapp ein Prozent höher.
Um zu verstehen, wie gravierend sich ein längerfristiges Niedrigzins-Inflations-Szenario auswirkt, müssen die jeweiligen Anlageziele und Restriktionen in die Asset-Allokation einbezogen werden. Pensionskassen müssen aus ihrer Kapitalanlage Rentenzahlungen leisten. Diese Verpflichtungen wachsen im Zeitverlauf basierend auf einem aktuariellen Rechnungszins an. Daher wird ihre Asset-Allokation typischerweise so ausgestaltet, dass die Kapitalanlage mit hoher Wahrscheinlichkeit diesen Rechnungszins langfristig erwirtschaftet. Auf ewig angelegte Stiftungen benötigen für die Erfüllung ihres Stiftungszwecks hohe ordentliche Erträge und müssen darüber hinaus ihr Kapital erhalten. Die Erzielung einer positiven Realrendite ist für sie insofern eine Mindestvoraussetzung und der relative Bezug der Rendite zur Inflation das maßgebliche Anlageziel.
Für Pensionskassen dürfte ein Niedrigzins-Inflations-Szenario vergleichsweise weniger gefährlich sein. Denn ihre Verpflichtungen weisen keine direkte Verbindung zur Inflation auf, sodass sich die erwarteten Auszahlungen durch einen Anstieg der Inflation nicht erhöhen. Auch besitzt der Rechnungszins keinen direkten Bezug zu makroökonomischen Faktoren. Gleichzeitig verfügen Pensionskassen in der Regel über einen überdurchschnittlichen Anteil an Real Assets, die naturgemäß einen hohen Inflationsschutz aufweisen. Zwar bedeutet eine steigende Inflationsrate auch Druck auf die Zinspapiere. Diese werden jedoch meist bis zur Endfälligkeit gehalten und sind vor Abschreibungen geschützt. Pensionskassen dürften vor allem darauf hoffen, dass eine hohe Inflation perspektivisch doch ein Eingreifen der Notenbanken mit höheren Zinssätzen bedeutet.
Anders sieht es hingegen für Stiftungen aus: Ein stärkerer Verlust der Kaufkraft führt zu Kostensteigerungen der geförderten Projekte im Rahmen des Stiftungszwecks, während die Erträge des Vermögens mit diesen Steigerungen oft nicht mithalten können. Die Ausweitung einer negativen Realrendite kann somit den langfristigen Kapitalerhalt massiv gefährden. Eine Einschränkung der Fördertätigkeit ist die Konsequenz daraus. Der Trend zur Umwandlung einer Ewigkeitsstiftung in eine Verbrauchsstiftung könnte sich in diesem Umfeld fortsetzen. Die Kombination aus Niedrigzins und hoher Inflation bildet für Stiftungen den Worst Case.
Eine Möglichkeit Inflationsrisiken zu begrenzen, besteht in höheren Allokationen von Realwerten wie Immobilien und Infrastruktur. Häufig sind die Quoten illiquider Anlageklassen jedoch bereits ausgeschöpft und gerade kleinere Anleger haben oftmals nicht den geeigneten Zugang. Dann stellt sich die Frage, welche liquiden Möglichkeiten existieren? Viele Rohstoffe haben in der Vergangenheit bei steigender Inflation positive Renditen erzielt. Ferner konnten Trend-Strategien vielfach überzeugen, da sich Inflation typischerweise über eine längere Zeit entwickelt und nicht über Nacht entsteht. Bei Aktien gilt es darauf zu achten, mit welcher Ausrichtung diese investiert werden. In der Vergangenheit waren Papiere aus den Sektoren Energie, Gesundheitswesen und Chemie in einem Inflationsumfeld häufig äußerst robust. Technologie, Financials und Gebrauchsgüter schnitten hingegen unterdurchschnittlich ab. Vorteilhaft waren vornehmlich Unternehmen mit Sachwertcharakter, die über eine hohe Preisfestsetzungsmacht verfügen.
Beim Aufbau eines robusten Portfolios kann auch der Blick auf verschiedene Aktienfaktoren helfen, wobei hier eine enge Verbindung zu den obigen Sektoren besteht. Faktoren wie Qualität oder Value wiesen in vergangenen inflationären Regimes höhere Renditen auf. Dagegen schnitt der Faktor Size eher schlecht ab. Größere Unternehmen haben bessere Voraussetzungen, um notwendige Anpassungsprozesse umzusetzen. Einen positiven Beitrag leistet häufig auch der Faktor Momentum. Da die Divergenz aller Faktoren in den einzelnen Inflationszeiträumen jedoch sehr groß ist, sollte kein Faktor allein ausgewählt werden. Am robustesten verhalten sich Titel, die eine Kombination verschiedener Faktoren aufweisen, wie ein geringes Risiko, positives Momentum und keine schlechte Qualität. Multifaktorstrategien mit defensiver Ausrichtung bieten ein solches Profil und könnten in einem inflationären Szenario das Portfolio stabilisieren.
Maßnahmen zur Stabilisierung des Portfolios sind immer im Kontext durchzuführen. Wie beschrieben, ist es für eine erfolgreiche Risikosteuerung entscheidend, zu verstehen, welche makroökonomischen Szenarien hohe Risikopotentiale aufweisen und wie sich diese auf das Portfolio und die Verpflichtungen auswirken. Daher werden heute verstärkt Szenario-basierte Ansätze entwickelt, die mehrdimensionale Prognosen zulassen. Mit jedem neuen Economic-Scenario-Update identifizieren die Ökonomen der DekaBank die bevorstehenden globalen Hauptunsicherheitsfaktoren, die das zu prognostizierende Wirtschaftssystem grundlegend verändern könnten. Diese Faktoren können ökonomischer Natur sein, wie zum Beispiel höhere Inflationsraten, aber auch politischer Art. Für jedes dieser Szenarien wird eine ökonomisch kohärente Entwicklung der wirtschaftlichen Faktoren abgeleitet, die die Entwicklung der Finanzmärkte bestimmen. Hierdurch können alternative strategische Asset Allokationen umfassend untersucht werden.
In den ersten drei Quartalen 2021 hat die Deka-Gruppe bereits Anleger mit einem Gesamtvolumen von mehr als 30 Mrd. Euro beraten. Es ist zu beobachten, dass der Zeitraum, in dem institutionelle Investoren ihre strategische Asset Allokation überprüfen, immer kürzer wird. Gleichzeitig werden die Fragestellungen komplexer. In der Beratung setzt die Deka daher auf digital-unterstützte, evidenzbasierte Asset-Liability-Systeme. Durch die sofortige Verfügbarkeit aller entscheidungsrelevanten Rendite- und Risikoinformationen können in einem interaktiven Prozess bestmögliche Anlagestrategie zusammen mit professionellen Anlegern entwickelt werden. Bei viele Analysen stehen aktuell die potenziellen Auswirkungen des Niedrigzins-Inflations-Szenarios im Mittelpunkt, die dann gesamtheitlich betrachtet und in eine passende Asset-Allokationslösung implementiert werden kann.
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