Deka Institutionell Investment-Konferenz 2023
Perspektivwechsel: Jahrhundertchance statt Ende des Wohlstands.
Deindustrialisierung, Deglobalisierung, demographische Entwicklung – viele Menschen befürchten das Ende des Wohlstandsmodells in Deutschland. Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) macht sich jedoch für eine positivere Sicht der Dinge stark. Auf der Deka Institutionell Investment-Konferenz 2023 erläuterte er, warum Deutschland vor einer Jahrhundertchance steht und wieso längst nicht alles so aussichtslos ist, wie es auf den ersten Blick wirken mag.
Dezember 2023
Wo geht die Reise hin? Die vielfältigen Krisen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass wir einschneidenden Veränderungen in Deutschland gegenüberstehen – wie sieht die Zukunft aus? Diesen Fragen ging die Deka auf der diesjährigen Deka Institutionell Investment-Konferenz in Oberursel nach. Unter dem Motto „Deutschland zwischen Realität und Vision – mit Zuversicht die Zukunft gestalten. Einblicke, Meinungen und Perspektiven für institutionelle Anleger“ referierten und diskutierten Expertinnen und Experten verschiedener Branchen sowie der Deka.
„Deutschland steht in den kommenden Jahren vor einer massiven Transformation, die vielen Menschen große Sorgen bereitet“, stellte Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fest. Die Befürchtungen sind naheliegend: Der Klimawandel nimmt Fahrt auf, Konflikte nehmen weltweit zu und in Deutschland werden durch den demographischen Wandel bis 2035 rund sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Doch die Situation ist nicht aussichtslos, macht Weber Hoffnung. Er plädiert für einen Perspektivwechsel: „Die Transformation ist eine Jahrhundertchance. Wir müssen umdenken und den Blick auf die riesigen Chancen richten, die sich uns damit bieten. Wenn wir anfangen, Transformation als Innovation zu verstehen, die wir vorantreiben können, wenn wir neue Kompetenzen aufbauen und unser Wirtschaftsmodell anpassen, können wir die Lebenssituation vieler Menschen in unserem Land verbessern und neuen Wohlstand generieren.“
Dazu braucht es jedoch einen anderen Blickwinkel, so Weber. „Statt darüber zu klagen, dass die deutsche Autoindustrie sich umstellen muss, sollten wir uns klarmachen, dass wir die Generation sind, die den Verbrenner und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen abschaffen kann. Wir sind die Generation, die völlig neue Mobilitätsformen etablieren kann. Wir können Künstliche Intelligenz im Arbeitsmarkt einsetzen, um Arbeit anspruchsvoller, vielfältiger und reicher zu machen. Statt uns über den Fachkräftemangel zu beschweren, sollten wir uns darüber freuen, dass wir eine Generation sind, die endlich wieder Wettbewerb im Arbeitsmarkt hat.“
Digitalisierung: Umbruch statt Einbruch.
Dabei gehe es ihm jedoch nicht allein um einen Perspektivwechsel, stellte Weber klar, sondern darum, anzuerkennen, dass die Datenlage auch positive Lesarten der derzeitigen Situation zuließe: „Nehmen Sie beispielsweise den Umgang mit Digitalisierung und neuen Technologien. Menschen gehen grundsätzlich zuerst davon aus, dass neue Technologien heutige Tätigkeiten substituieren. Wir tun uns schwer damit, uns vorzustellen, dass auch neue Tätigkeiten hinzukommen könnten.“ Dabei zeige die Vergangenheit dies ganz deutlich: Die meisten Berufsbilder, die es vor 100 Jahren noch gab, gibt es heute auch nicht mehr. Dennoch arbeiten heute so viele Menschen wie noch nie zuvor in Deutschland. „Bisher hat jede industrielle Revolution zwar Tätigkeiten überflüssig gemacht, aber eben auch viele neue Berufe geschaffen. In der Summe haben sie meist mehr Jobs geschaffen und neuen Wohlstand mit sich gebracht. Es gibt keinen Grund, warum dies jetzt anders sein sollte.“
So auch beim Thema Mobilitätswandel, zeigt Weber. Auch hier herrsche derzeit viel Angst, dass die Veränderungen im Mobilitätssektor zu einem deutlichen Absinken der Beschäftigungszahlen führen werden. „Natürlich wird sich der Arbeitsmarkt verändern und derzeit bestehende Berufsbilder werden verschwinden, gleichzeitig werden jedoch auch neue Tätigkeitsprofile geschaffen. Nach unseren Berechnungen dürfte durch die Veränderungen einer Wirtschaft 4.0 ein jährliches Produktivitätswachstum von 0,3 Prozentpunkten erreicht werden – hier steckt enormes Potential.“
Rekordbeschäftigung statt Arbeitskräftemangel.
Statt das Szenario eines Arbeitsplatzmangels zu fürchten, sei es daher realistischer, dass es künftig mehr Arbeitsplätze als Arbeitnehmer gebe. „Je nach Perspektive kann man dies entweder Arbeitskräftemangel oder Rekordbeschäftigung nennen. Ich sehe hier eine unglaubliche Leistung unseres Landes: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen.“ Die bevorstehende Transformation werde durch den zu erwartenden Investitionsschub neue Möglichkeiten schaffen: „Statt darüber zu jammern, dass es bereits jetzt zu wenig Fachkräfte gebe, haben wir die Möglichkeit, die Bedingungen von Handwerksberufen auf das Niveau der Autoindustrie zu heben. Das ist doch ein Grund zur Freude: Wir können die Arbeitsbedingungen verbessern und die Gehälter steigern. Daraus ergibt sich automatisch mehr Wohlstand: Steigende Löhne führen zu steigender Nachfrage und diese führt zu mehr Wachstum.“
Mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ließe sich zudem eine weitere Herausforderung lösen: die Schrumpfung des Arbeitskräfteangebots infolge des demographischen Wandels. Berechnungen des IAB zufolge werde die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter bis 2035 um etwa sieben Millionen sinken. Durch einen Anstieg der Erwerbsquoten ließe sich die Schrumpfung und die daraus resultierenden Risiken deutlich abmildern, macht Weber deutlich: „In einigen Altersgruppen und Branchen haben wir im Alter eine sehr geringe Erwerbsbeteiligung, so etwa bei Menschen in hochbelastenden Berufen.“ Verbesserte Arbeitsbedingungen könnten hier zu einer längeren Ausübung der Berufstätigkeit führen.
Lebenslanges Lernen gegen frühzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt.
Vor allem aber sei ein Umdenken notwendig: Durch Umschulungen und den frühzeitigen Erwerb von weiterführenden Kompetenzen könne es auch dieser Gruppe ermöglicht werden, länger einer sinnstiftenden beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Ebenso werde bei Frauen sehr viel Potential verschwendet. So stagniere in Deutschland nach einer Schwangerschaft die berufliche Entwicklung zumeist. „Ein großes Problem ist, dass wir in Deutschland den Erfolg bei Bildung als Abschluss wahrnehmen. Diese Denkmuster, dass Lernen mit einem Abschluss aufhört, müssen wir ändern. Wir brauchen eine Veränderung zum lebenslangen Lernen mit einer intensiven ersten Lernphase und individuellen Angeboten zur Weiterbildung, die Flexibilität im Arbeitsmarkt bieten.“ Zudem müssten arbeitswilligen Menschen Angebote gemacht werden, die es ihnen ermöglichen, mit weniger Belastung auch in einem höheren Alter noch am Arbeitsmarkt zu partizipieren. Nicht zuletzt müssten diese Beschäftigungen dann so attraktiv ausgestaltet sein, dass Menschen ihnen gerne nachgehen.
„Anders wird es gar nicht gehen, denn die Anforderungen am Arbeitsmarkt verändern sich derzeit rasant, beschleunigt durch die Rekordbeschäftigung und den Eintritt jüngerer Generationen. Dabei ist es ein Mythos, dass jüngere Generationen nicht mehr arbeiten wollen oder keinerlei Loyalität gegenüber Arbeitgebern verspüren. Unsere Daten zeigen ganz deutlich, dass die Vorurteile gegenüber jüngeren Menschen genau das sind: Vorurteile. Auch die Generationen Y und Z wollen gerne und viel arbeiten“, führt Weber aus. Sie legen jedoch mehr Wert auf individuelle Freiheiten und der Beruf ist nicht mehr Lebensmittelpunkt, an den sich das Leben anpassen muss. Stattdessen sollte der Beruf sich nahtlos in die Lebensrealität einfügen. Die Arbeitszeit ist dabei weniger relevant als Souveränität: „Die Bedeutung von selbstbestimmtem Arbeiten hat über alle Altersgruppen deutlich zugenommen. Menschen wollen heutzutage mobil und flexibel arbeiten. Entsprechend hat die 5-Tage-Woche als Standard ausgedient, stattdessen brauchen wir die X-Tages-Woche – zugeschnitten auf die persönlichen Wünsche, Lebensumstände und die beruflichen und betrieblichen Anforderungen. Wenn wir die Transformation als Chance begreifen, haben wir sehr gute Chancen, von den Veränderungen der kommenden Jahre zu profitieren und nachhaltigen Wohlstand für uns und Deutschland zu schaffen“, zieht Weber Resümee.
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