Research und Märkte
KI statt Blackout.
Neue Rekordmarken bei Dax und Dow Jones – und die Zinsen feiern ein Comeback. Welche Ereignisse in den vergangenen zwölf Monaten die Finanzmärkte bewegt haben. Ein Blick zurück ganz ohne Zorn.
Dezember 2023
Kommen wir ohne russisches Gas durch den Winter? Können wir am Atomausstieg wirklich festhalten? Die Aufregung war gewaltig, doch trotz aller Schwarzmalerei blieb das Desaster in der größten Volkswirtschaft der Eurozone schlichtweg aus. Teuer können allerdings die in Rekordzeit hochgezogenen Flüssigerdgas-(LNG-)Terminals kommen. Knapp ein Jahr nach der Inbetriebnahme der ersten Anlage zeigt sich: LNG macht laut Bundesnetzagentur nur einen Bruchteil der deutschen Gasimporte aus. Auch weil die Verfügbarkeit von Pipelinegas hoch ist und die Speicher prall gefüllt sind. Der Preistrend sowohl bei Erdgas als auch Rohöl zeigte denn auch im laufenden Jahr bergab. Das Rekordhoch von 120 Dollar pro Barrel der Sorte Brent aus dem Sommer 2022 ist inzwischen in weite Ferne gerückt. Mit knapp 80 Dollar pro Fass ist das „schwarze Gold“ sogar billiger als vor dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts, der sich nach knapp zwei Jahren zu einem Abnutzungskrieg entwickelt. Stattdessen rückt nach der Terrorattacke der Hamas gegen Israel der Fokus auf den Nahen Osten. Unmittelbare Folgen für den Ölpreis: bislang offen.
USA: Politisches Warmlaufen für die Präsidentschaftswahl.
Ein Drama mit schlechtem Ende: Vier zähe Tage lang versuchte Kevin McCarthy Anfang 2023 zum Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses gewählt zu werden. Im 15. Versuch gelang es dem Republikaner endlich. Es war der Auftakt zu einem innenpolitisch unruhigen Jahr in den USA, das von taktischen Winkelzügen und Machtspielen geprägt war. Häufig kam die Initiative dabei von der republikanischen Partei. Dort brachten sich die Kandidatinnen und Kandidaten in Stellung, um 2024 in den Vorwahlen gegen Donald Trump anzutreten. Hinter den Kulissen baute der Ex-Präsident derweil emsig an seiner Machtposition in den eigenen Reihen. Wie stark er in das kommende Wahljahr geht? Politische Beobachter wagen dazu noch keine Prognose. Eine erste Kostprobe seiner parteiinternen Macht lieferte Trump aber Anfang Oktober. Von einem Tag auf den anderen wählten die Republikaner McCarthy wieder ab. Den Posten übernahm drei Wochen später Mike Johnson, der zumindest als Trump-nah gilt. Diese Personalrochade fiel in die angespannte Phase der Haushaltsberatungen, in der die Republikaner den Entwurf von US-Präsident Joe Biden im Repräsentantenhaus blockierten. Die drohende Haushaltssperre schwebte wochenlang wie ein Damoklesschwert über den US-Börsen. Ohne Zustimmung wären etwa in Teilen der öffentlichen Verwaltung keine Gehälter mehr ausgezahlt worden. Mitte November dann Entwarnung: In letzter Minute einigten sich Demokraten und Republikaner auf einen Übergangshaushalt. Doch im Vorfeld der näher rückenden Wahlen dürfte es turbulent bleiben.
Finanzsektor: Hohe Zinsen mit Folgen – aber keine neue Finanzkrise.
Der Zusammenbruch der vergleichsweise kleinen Silicon Valley Bank (SVB) im US-Bundesstaat Kalifornien Anfang März weckte ungute Erinnerungen. Waren nicht 2008 auch die Pleiten von zwei US-Regionalbanken die Vorboten der weltgrößten Finanzkrise? Behörden und Anlegerinnen und Anleger waren jedenfalls alarmiert. Erst recht, nachdem wenige Tage später die Schweizer Großbank Credit Suisse (CS) in Schieflage geriet und in einer blitzartigen Rettungsaktion vom Wettbewerber UBS übernommen wurde. In beiden Fällen zeigte sich: Generelle Ursache für die jeweilige Pleite war der starke Anstieg der Marktzinsen. Doch es gab Unterschiede: Bei der SVB hatten viele Start-up-Unternehmen aus der boomenden Tech-Branche ihr Geld angelegt. Das Geld investierte die Bank zu einem großen Teil in eigentlich sichere, lang laufende US-Staatsanleihen. Mit dem Anstieg der Zinsen verloren diese Papiere jedoch stark an Wert. Folge: Die SVB musste hohe Abschreibungen vornehmen und brauchte kurzfristig eine Kapitalspritze, für die sich aber keine Geldgeber fanden.
Die CS hingegen gehörte bis zur Pleite zu den wichtigsten Geldhäusern in Europa. Missmanagement und Finanzskandale hatten jedoch über Jahre hinweg zu Milliardenverlusten geführt. Geplatzte Risikogeschäfte mit Hedgefonds rissen dann im Frühjahr ein Loch in die Bilanz, das sich nicht mehr füllen ließ. Doch die Finanzaufseher hatten aus der Finanzkrise 2008 gelernt. Durch ihr konsequentes Einschreiten dies- und jenseits des Atlantiks gelang es ihnen, die Lage zu beruhigen und damit Schlimmeres zu verhindern. Die hohen Zinsen machten aber auch der Immobilienwirtschaft zu schaffen. Viele Projekte wurden storniert und Projektentwickler rutschten in die Krise, weil gleichzeitig auch die Baukosten aus dem Ruder liefen. Als prominentestes Beispiel musste Ende November die Signa-Holding des Österreichers René Benko, zu der auch die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof gehört, Insolvenz anmelden. Zudem spüren viele Immobilienfonds, dass der Wind am Markt rauer wird. Im Unterschied zu Projektentwicklern finanzieren sie ihre Objekte allerdings zu einem großen Teil aus den Geldern, die im Fonds liegen. Von höheren Kreditzinsen sind sie also direkt nur wenig betroffen.
Digitalisierung: KI entfacht neuen Boom.
Ein fröhlicher Geburtstag geht anders. Ende November 2022 ging der Sprachroboter Chat GPT an den Start. Seitdem ist der zu Microsoft gehörende Entwickler OpenAI in aller Munde. Zum einjährigen Jubiläum des Paradeprodukts gab es jedoch Streit statt Party. Chef und Mitbegründer Sam Altman wurde zunächst aus der Tech-Firma herausgedrängt, kehrte fünf Tage später jedoch auf Druck der Mitarbeitenden wieder an die Spitze zurück. Beim Siegeszug der KI blieb das jedoch eine Randnotiz. Der Branchenverband Bitkom erwartet, dass 2023 allein in Deutschland die Ausgaben für KI-Software, -Dienstleistungen und Hardware auf 6,3 Milliarden Euro steigen werden. Das wäre gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 32 Prozent. Davon profitiert auch Aleph Alpha aus Heidelberg, eine der hoffnungsvollsten deutschen Firmen für Sprach-KI. An der Finanzierungsrunde über 500 Millionen Euro Anfang November beteiligten sich Konzerne wie Bosch und SAP. Mit dem Geld soll das Start-up großen Konkurrenten wie Google und OpenAI die Stirn bieten. Derweil kommt die Digitalisierung in Deutschlands Verwaltung nicht recht vom Fleck. Nach einer Bitkom-Auswertung waren zur Mitte des Jahres von 334 digitalpolitischen Vorhaben der Bundesregierung erst 38 umgesetzt.
Rekordzahlen: Pharma ist das neue Tech.
Kurz vor Ende des Jahres hat es für Novo Nordisk dann doch nicht mehr zu Platz eins im Börsenranking gereicht. Lange Zeit aber schickten sich die Dänen an, dem Luxuskonzern LVMH den Rang als wertvollstes europäisches Unternehmen abzulaufen. Was dem Kurs des Pharmaherstellers antreibt: erfolgreiche Präparate, die Novo Nordisk in diesem Jahr gegen Diabetes und Fettleibigkeit auf den Markt gebracht hat. Der Appetitzügler Wegovy und das Diabetes-Medikament Ozempic bescheren Rekordzahlen bei Umsatz und Ertrag. Erfolge locken allerdings auch Wettbewerber. So gab der US-Konzern Eli Lilly im Herbst eine Rekordinvestition in Deutschland bekannt. In einem neuen Werk, das für über zwei Milliarden Euro in Alzey gebaut wird, will der Konzern ab 2027 eine eigene Spritze gegen Diabetes und Fettleibigkeit produzieren. Wie nah Licht und Schatten in der Pharmabranche beieinanderliegen, zeigt das Beispiel Bayer. Die Leverkusener sind in diesem Jahr aus den Negativschlagzeilen nicht herausgekommen. Nachdem sie vor mehreren US-Gerichten Schadenersatzprozesse wegen Glyphosat verloren haben, wurde im November die Entwicklung des Gerinnungshemmers Asundexian gestoppt. In Studien hatte sich der Wirkstoff als nicht so wirksam wie erhofft erwiesen. Die Aktie ist in diesem Jahr mit einem Minus von fast 40 Prozent (Stand: 6.12.) größter Verlierer im Dax.
EZB: Inflation runter, Zinsgipfel erreicht?
Dass es im Börsenjahr 2023 besser gelaufen ist als zu Anfang erwartet, hat vor allem einen Grund: Die Leitzinsanhebungen der Notenbank zeigen Wirkung. Die Inflation war im Vorjahr das Sorgenkind Nummer eins, in den vergangenen Monaten scheint sie aber im Griff. Über den Jahresverlauf hinweg sind die Preissteigerungsraten sowohl in der Eurozone als auch in den USA stetig gesunken; in der Eurozone im Oktober sogar erstmals seit Juli 2021 unter die Drei-Prozent-Marke. In den USA lag die Rate bei 3,2 Prozent. Gegenüber den Höchstständen Mitte 2022 haben sich die Werte gedrittelt. Europäische Zentralbank (EZB) und Fed erhöhten die Zinsen bei ihren letzten Sitzungen daher nicht weiter. So oder so: Sichere Zinsanlagen werfen erstmals wieder positive Realrenditen ab. Das beschert Rentenfonds, die lange Zeit kaum beachtet wurden, interessante Perspektiven. Die Frage ist nun: Bei welchem Leitzinsniveau wird der Inflationsrückgang gestoppt? Davon hängt es für Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater ab, welchen Weg die Notenbanken 2024 einschlagen werden. Unwahrscheinlich ist für ihn, dass die Inflation im Euroraum bereits 2024 auf zwei Prozent zurückfallen wird. Seine Prognose: 2,8 Prozent für den Euroraum, Deutschland 2,9 Prozent.
Börsenjahrgang 2023: Positive Bilanz.
Bei Dax und Dow Jones ging es zu Jahresanfang vom Fleck weg bergauf. Der Rücksetzer im Spätsommer, als zeitweilig neue Zins-und Konjunkturängste aufflammten, ist im Herbst rasch wieder aufgeholt worden. Erstaunlich: Trotz schwacher Weltwirtschaft und Rezessionsgefahren steuern kurz vor dem Jahreswechsel viele Leitindizes auf neue Rekordmarken zu. In den USA wurden die Märkte vor allem von der Erholung der Tech-Werte getrieben. Mit dem Chiphersteller Nvidia hat im Mai nach Apple, Amazon, Alphabet und Microsoft das fünfte Unternehmen die magische Ein-Billionen-Dollar-Marke übersprungen. Meta drängt als nächster Kandidat in diesen Club. Im Dax notieren viele Aktien nahe ihren historischen Hochs – zum Beispiel SAP. Auch die Banken feiern ein Comeback. Top-Performer im deutschen Leitindex ist jedoch mit einem Plus von über 60 Prozent (Stand: 6.12.) Adidas. Auf der Verliererseite steht neben Bayer die Siemens-Tochter Siemens Energy. Nach Verlusten in Spanien musste der Windkrafthersteller im Oktober trotz voller Auftragsbücher mit Staatshilfen gestützt werden.
2024: Basis für ein weiteres gutes Jahr gelegt.
Blickt man zurück, hat sich das katastrophale Börsenjahr 2022 als heilsamer Schock erwiesen. Denn hohe Inflation, straffe Geldpolitik und deutlich gesunkene Bewertungen haben den Boden bereitet für die Kursgewinne im Jahr 2023. Nach dem erfolgreichen Jahr ist zu erwarten, dass auch 2024 gut wird. Laut Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie der DekaBank, haben die Bewertungen in einem sich stabilisierenden Umfeld das Potenzial, sich vor allem in Deutschland und Europa weiter nach oben zu bewegen.
Quelle: fondsmagazin
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