RECHT UND REGULATORIK
Die Rückkehr der Mehrstimmrechtsaktien – ein Rückschlag für Corporate Governance?
Eine Aktie, eine Stimme: Bisher galt dieser Grundsatz für börsennotierte Unternehmen in Deutschland. Mit der Verabschiedung des Zukunftsfinanzierungsgesetzes kehren Mehrstimmrechtsaktien zurück. Für Investoren und die Unternehmensführung lässt dies nichts Gutes erwarten, erläutert Cornelia Zimmermann, Spezialistin für Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka.
Mai 2024
Die Ungleichbehandlung am Aktienmarkt – in den USA ist sie dank Dual-Class-Aktien bereits Realität. Durch sogenannte Class-A-Aktien mit mehreren Stimmen sichern sich Gründer bei Börsengängen die Stimmenmehrheit und Kontrolle über ein Unternehmen, bei teils verschwindend geringem Anteilsbesitz. Investoren, die reguläre Aktien halten, haben hingegen das Nachsehen. Trotz teilweise höherem Kapitaleinsatz verfügen sie oftmals über deutlich geringere Stimmrechte. In Deutschland waren sogenannte Mehrstimmrechtsaktien, die mehrere Stimmrechte je Aktie verbriefen, bisher unzulässig. Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG), das offiziell am 15. Dezember in Kraft getreten ist, ändert sich dies jedoch. Nach den neuen Regelungen können Mehrstimmrechtsaktien künftig sowohl bei bereits börsennotierten Unternehmen als auch bei im Privatbesitz befindlichen Firmen genutzt werden.
Damit schafft Deutschland ähnliche Strukturen wie in den USA und schwächt die Bemühungen um eine bessere Corporate Governance, kommentiert Cornelia Zimmermann, Spezialistin für Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Deka: „In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Unternehmen mit Ungleichheiten bei der Verteilung von Stimm- und Anteilsmehrheiten tendenziell eher zu Problemen beim Ziel einer guten Unternehmensführung neigen. Der deutsche Gesetzgeber hatte Dual-Class-Aktien daher in der Vergangenheit aus gutem Grund verboten. Die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsstrukturen stellt einen Paradigmenwechsel dar. Bisher gilt in Deutschland der Grundsatz ‚Eine Aktie, eine Stimme‘. Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz wird dieses Prinzip aufgeweicht.“
Zwar gibt es einige Einschränkungen für die neue Anteilsklasse: So setzt ihre Einführung etwa die Zustimmung aller Aktionäre eines Unternehmens voraus – für börsennotierte Unternehmen dürfte es daher faktisch unmöglich sein, neue Aktien auszugeben oder bestehende Aktien umzuwandeln (§ 135a Abs. 1 Satz 3 AktG). Auch darf die neue Aktiengattung maximal das zehnfache Stimmrecht gewähren (§ 135a Abs. 1 Satz 2 AktG). Eine Obergrenze für die Anzahl von Mehrstimmrechtsaktien hingegen ist jedoch genauso wenig vorgesehen wie die Einschränkung des potentiellen Inhaberkreises.
Einschränkungen gehen nicht weit genug.
Ziel des ZuFinG ist es, kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Start-Ups den Gang an die Börse zu erleichtern, ohne sofort die Kontrolle über das Unternehmen abgeben zu müssen. Dauerhafte Mehrstimmrechte wurden daher zum größten Teil ausgeschlossen. So sehen sogenannte „Sunset clauses“ vor, dass die Aktien zehn Jahre nach einem Börsengang, dem Eintritt in den Freiverkehr oder bei Übertragung erlöschen (§ 135a Abs. 2 AktG sowie § 135a Abs. 2 Satz 2-6 AktG). Diese Befristung kann einmalig um weitere zehn Jahre verlängert werden.
Mit den zeitlichen Einschränkungen versucht die Bundesregierung zu verhindern, dass Mehrstimmrechtsaktien unbegrenzt eingesetzt werden können. Zimmermann bezweifelt jedoch, dass diese Maßnahmen zum gewünschten Erfolg führen: „Die Sunset clauses dürften zwar verhindern, dass Mehrstimmrechtsaktien an der Börse unbegrenzt möglich sind. Aber auch 20 Jahre sind aus der Perspektive der Corporate Governance eine sehr lange Zeit. Darüber hinaus gelten im Freiverkehr und bei nicht börsennotierten Gesellschaften weder zeitliche Beschränkungen noch Einschränkungen bei der Übertragbarkeit.“ Zudem werden voraussichtlich weder die Befürworter noch die Gegner der Aktiengattung wirklich glücklich mit den Maßnahmen sein. Anhänger der Mehrstimmrechtsaktien werden sich an der Komplexität der Regelungen und den Einschränkungen stoßen, etwa bei Kapitalmaßnahmen und Satzungsänderungen, wo weiter eine Kapitalmehrheit nötig ist. Für Investoren dagegen gehen die Einführungen nicht weit genug, so Expertin Zimmermann: „Auch bei ‚nur‘ zehnfachem Stimmrecht reicht bereits ein Kapitalanteil von lediglich siebeneinhalb Prozent um sich eine Dreiviertelmehrheit der Stimmen zu sichern.“
Mehrstimmrechtsaktien machen Kontrolle schwierig.
Dabei liegt das Problem für Zimmermann tiefer als nur in unzulänglichen Beschränkungen. Ihrer Meinung nach stellen die Mehrstimmrechtsaktien ein grundsätzliches Problem für Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen dar, da sie ihrer treuhänderischen Verpflichtung ihren Kundinnen und Kunden gegenüber nicht vollständig gerecht werden können: „Diese Ungleichbehandlung der Aktionäre verhindert eine effektive Kontrolle der Geschäftsführung durch die Anteilseigner.“ Für die Finanzbranche, die gesetzlich dazu angehalten ist, die Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit zu finanzieren und von ihrem Stimmrechten Gebrauch zu machen, ist dies besonders widersprüchlich. Darüber hinaus gebe es bereits Beispiele, welche die Problematik ungleicher Stimmrechte demonstrieren, zeigt Zimmermann auf: „In Deutschland gibt es mit Stamm- und Vorzugsaktien bereits ähnliche Instrumente. Unternehmen wie VW, die über entsprechende Strukturen fest in Eigentümerhand sind, verstoßen regelmäßig gegen die Prinzipien guter Unternehmensführung. Bei VW werden die Aktien sogar mit einem erheblichen Governanceabschlag gehandelt und beeinträchtigen den Unternehmenswert deutlich. Bei Investoren sind Vorzugsaktien daher unbeliebter als Stimmrechtsaktien und werden durchschnittlich mit 26 Prozent Abschlag im Vergleich zu Stammaktien gehandelt.“
Mehrstimmrechtsaktien erhöhen zudem das Risiko, dass Unternehmen versuchen, nur von den Vorteilen eines Börsengangs zu profitieren, ohne Kontrolle abgeben und den Ansprüchen der Investoren zu guter Unternehmensführung nachkommen zu müssen. Deka-Expertin Zimmermann sieht hier deshalb auch die Gefahr, dass das neue Gesetz sein Ziel verfehlt: „Wir haben in Deutschland bislang in der Bevölkerung ein eher geringes Vertrauen gegenüber dem Aktienmarkt. Ich halte es für zweifelhaft, ob Investments in Aktien aus Investorensicht attraktiver werden, wenn die Governance aufgeweicht wird. Insofern stellt sich schon die Frage, ob KMU und Start-ups durch das Gesetz am Ende wirklich einen besseren Zugang zu mehr Kapital erhalten.“
Hinweis:
Teilweise werden in dieser Publikation Meinungsaussagen getroffen. Diese geben die aktuelle Einschätzung der DekaBank zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Publikation wieder. Die Einschätzung kann sich jederzeit ohne Ankündigung ändern.
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