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Abnahme

Trends und Innovation

Auf dem Weg zu KI 2.0.

Mit künstlicher Intelligenz Texte verfassen oder Daten auswerten – das ist fast schon ein alter Hut. Weltweit arbeiten Wissenschaftler, Ingenieure und Programmierer oftmals im Verborgenen an Tools, die aufregend neue Möglichkeiten bieten – und Unternehmen effizienter und produktiver machen können.

März 2024

Jürgen Klopp als Guru, Jürgen Klopp als Bäcker, Jürgen Klopp als Zahnarzt, als Gärtner, als Flugbegleiter und in einem halben Dutzend weiterer Berufe. In seinem jüngsten Werbespot denkt Deutschlands bekanntester Fußballtrainer darüber nach, wie es ihm ergangen wäre, wenn er nicht genau das geworden wäre, was er ist: einer der erfolgreichsten Trainer der Welt. Der Clou des Werbeclips: Eine Software hat Klopps markantes Gesicht mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) in anonyme Bilder aller gezeigten Berufe montiert und teilweise animiert. Statt stundenlang in der Maske zu sitzen und sich für jede einzelne Figur zurechtzumachen, konnte der Trainer in Liverpool wie gewohnt seiner Arbeit nachgehen – und das senkte die Kosten des Clips deutlich.

Das Beispiel zeigt: KI ist längst im Alltag der Menschen angekommen. Sie spricht mit Kunden, sammelt Informationen, wertet Daten aus und hilft, Wettervorhersagen zuverlässiger zu machen. Derzeit staunt die Welt noch über die Fähigkeiten der Technologie, imaginäre Fotos zu erstellen und Texte zu verfassen. Doch die eigentlichen Entwicklungssprünge finden oft im Verborgenen statt, weil die Anwendungen hoch spezialisiert oder noch nicht einsatzreif sind – etwa in der Medizin, bei Dienstleistungen, im Finanzsektor oder in der Industrie. Doch KI 2.0 ist nur eine Frage der Zeit. „In naher Zukunft wird die Technologie in der Lage sein, auch sehr komplexe Aufgaben selbstständig zu lösen“, prognostiziert Rafet Sifa, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. „Davon werden vor allem Branchen profitieren, die beim Einsatz von KI bisher hinterherhinken.“

So testet der deutsche Automobilzulieferer Continental in Singapur ein autonom fahrendes E-Roboter-Fahrzeug, das im urbanen Umfeld für die sogenannte „letzte Meile“ eingesetzt werden soll. Der knapp 40 Kilogramm schwere und rund 30 Zentimeter hohe „Corriere“ ist kompakt und wendig und eignet sich daher beispielsweise für Kurierfahrten ebenso wie für die Auslieferung von Lebensmitteln oder Essen aus dem Restaurant um die Ecke. Gesteuert wird er über GPS-Daten, Sensoren am Fahrzeug und eine bordeigene KI. Für Continental-Chef Nikolai Setzer sind der „Corriere“ und der „Contadino“, ein modularer Agrarroboter für leichte landwirtschaftliche Arbeiten, zwei Beispiele von vielen, wie KI konkrete Lösungskonzepte für die Anforderungen der Mobilität von morgen bietet.

Autonomes Fahren geht nicht ohne KI.

KI gilt als Zukunftstechnologie für die Automobilbranche. Der Research-Dienst Mordor Intelligence schätzt, dass der Markt für künstliche Intelligenz in der globalen Automobilindustrie bis 2026 ein Volumen von 16,2 Milliarden US-Dollar erreichen wird. Im Vergleich zu den rund 2,6 Billionen Dollar Gesamtumsatz der Automobilbranche im vergangenen Jahr nimmt sich das vergleichsweise bescheiden aus. Doch wenn Fahrzeuge in Zukunft autonom fahren sollen, geht es nicht ohne KI. Diese wird derzeit in vielen Unternehmen der Branche auf überwiegend virtuellen Testfahrten für den Praxiseinsatz „angelernt“. So sparen sich die Hersteller die Kosten für Tausende Kilometer auf realen Straßen und halten den CO2-Fußabdruck ihrer Investitionen klein.

KI gilt unter Wirtschaftsexpertinnen und -experten längst als künftiger Fortschritts- und Wachstumsmotor. Nach Schätzungen der Unternehmensberatung PWC wird die Technologie allein in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das im vergangenen Jahr bei rund 4,1 Billionen Euro lag, bis 2030 um elf Prozent steigern. Im gleichen Zeitraum wird das weltweite Marktvolumen für KI-Anwendungen nach einer Prognose des Marktforschungsunternehmens MarketsandMarkets um durchschnittlich knapp 37 Prozent pro Jahr von derzeit rund 150 Milliarden Dollar auf 1,3 Billionen Dollar wachsen. Zum Vergleich: Für klassische Software geben Unternehmen und Privatpersonen laut Statista Market Insights 2024 weltweit umgerechnet rund 639 Milliarden Euro aus.

In Deutschland nutzen laut einer Studie vom vergangenen Herbst 15 Prozent der Firmen KI. Vor einem Jahr waren es erst 9 Prozent. Gut zwei Drittel sehen KI als Chance für das eigene Unternehmen, ein Fünftel als Risiko. Unter den internationalen Managern erwartet eine große Mehrheit von fast 80 Prozent, dass generative KI in weniger als drei Jahren zu signifikanten Veränderungen in ihrem Unternehmen führen wird. Generative KI gilt als aktuelle Entwicklungsphase der Technologie. Sie ist in der Lage, komplexe Themen zu „lernen“. Ihre Trainingsdaten verwendet die KI erneut, wenn es darum geht, ihr unbekannte Probleme zu lösen.

Knapp ein Drittel erwartet diese Veränderungen bereits jetzt oder in weniger als einem Jahr. Das ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte. Befragt wurden Ende 2023 weltweit mehr als 2.800 Führungskräfte aus allen wichtigen Branchen, die für die Umsetzung von generativer KI in ihren Unternehmen verantwortlich sind.

Medien und Werbebranche hinken hinterher.

Eine Branche mit vergleichsweise hohem Nachholbedarf bei praktischen KI-Anwendungen ist die Medien- und Werbebranche – trotz Klopp-Clip. In München treibt daher Seven.One Media, Vermarktungstochter von ProSiebenSat.1, die Arbeit an verschiedenen KI-Tools für den Einsatz im eigenen Konzern voran. Damit wird es künftig zum Beispiel möglich sein, individuell zugeschnittene Werbeclips und Produkte in sendereigenen Shows zu platzieren. Und zwar nicht durch Einblendungen oder Banner am Rand, sondern auf virtuellen Werbeplakaten und -flächen, die in das laufende Bild integriert werden.

An anderer Stelle erstellt die KI selbstständig Mood- und Storyboards, also Visualisierungen von Spotideen. „Statt erste Entwürfe händisch am Computer zu produzieren, setzt die Technologie die Ideen unserer Kreativen direkt in erste Bilder um“, schwärmt Carsten Schwecke, Geschäftsführer von Seven.One Media. „Damit können wir bereits in den Dialog mit den Werbekunden treten, und unsere Kreativen werden zeitlich entlastet.“

Für Werber wie Schwecke stehen beim Einsatz von KI zwei Ziele im Mittelpunkt: Effizienz und Kreativität. Wie sich das unter dem Strich auswirkt – darüber kursieren bislang nur Schätzungen. Unter Vorbehalt nennen Fachleute einen Produktivitätsgewinn von 25 bis 30 Prozent. Bei rund 860 Milliarden Dollar, die laut dem Datenportal Statista in diesem Jahr auf dem globalen Werbemarkt ausgegeben werden, haben KI-Anwendungen in der Werbewirtschaft also großes Potenzial.

Aber nicht nur dort. Im Medizin- und Gesundheitsbereich arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Programmierern unter Hochdruck an Anwendungs­möglichkeiten, die noch vor wenigen Jahren bestenfalls in Science-Fiction-Filmen zu finden waren. An der Uni-Klinik Essen zum Beispiel laufen mehrere Forschungsprojekte, um Ärzten mithilfe von KI-Anwendungen die Diagnose zu erleichtern und qualitativ zu verbessern. Bei Patienten mit Hirndruck etwa geben Assistenzsysteme schon heute verlässliche Prognosen und typisieren Hirntumore ohne aufwendige Biopsie. „Künftig sollen KI-Tools mit Patientendaten wie Ultraschall- und Röntgenbildern gefüttert werden. Damit können sie dann eine virtuelle Animation zum Beispiel des Bauchraums erzeugen, in der sich Ärzte über eine 3-D-Brille frei bewegen können“, sagt Fraunhofer-Experte Sifa.

In anderen Kliniken wie dem Universitätsklinikum Halle ist es schon länger Praxis, dass eine KI das Ärzteteam bei Operationen wie dem Ersatz von Knie- oder Hüftgelenken unterstützt. „In Zukunft wird eine KI solche und andere Operationen komplett selbst durchführen“, prognostiziert Sifa. „Die Ärzte verfolgen den Eingriff nur noch von außen über Monitore, um im Notfall einzugreifen.“

KI verbessert Diagnosen.

Das Skalpell, geführt von einem Roboterarm statt von menschlicher Hand – bei dieser Vorstellung mag manchem mulmig werden. Doch der Fraunhofer-Experte erklärt: „Es ist richtig, bei künstlicher Intelligenz auch über Risiken zu diskutieren und entsprechende Gegenmaßnahmen wie Kontrollinstanzen und -mechanismen einzuführen“, sagt er. „Grundsätzlich sollten aber die Chancen und zukünftigen Möglichkeiten im Vordergrund stehen. Im Gesundheitssystem können durch den Einsatz von KI die Kosten in der Patientenverwaltung deutlich gesenkt werden. Gleichzeitig verbessern sich Versorgungsqualität und Heilungserfolge signifikant – um wie viel genau, wird sich erst in einigen Jahren wissenschaftlich untersuchen lassen. Aber KI kennt keinen schlechten Tag und wird auch nicht müde. Viele Ärzte haben dagegen oft Nachtschichten oder Zwölfstundendienste in den Knochen.“

Auch Standardtabletten aus der Apotheke werden laut Sifa in einigen Jahren der Vergangenheit angehören. „Entsprechende KI-Programme werden auf Basis von Patientendaten wie Blut­werten, Größe, Alter, Gewicht und möglichen Vorerkrankungen individuelle Therapien entwickeln und Medikamente entwerfen, deren Wirkstoffe genau auf den Einzelfall abgestimmt sind“, prognostiziert der KI-Experte.

Großes Potenzial für KI-Anwendungen sieht er auch im Finanz- und Rechnungswesen. „Schon heute unterstützen KI-Systeme Wirtschaftsprüfer bei der Prüfung von Bilanzen und Jahresabschlüssen. Sie helfen, Zeit zu sparen und die Fehlerquote auf nahezu null zu reduzieren“, erklärt Sifa. „In Zukunft wird eine KI den Jahresabschluss komplett selbst prüfen. Dadurch können Wirtschaftsprüfer mehr Abschlüsse in der gleichen Zeit fertigstellen und sich auf strategische Fragen konzentrieren.“ Den Produktivitätsgewinn schätzt der Fraunhofer-Mann auf 20 bis 25 Prozent. Für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist das ein entscheidender Wettbewerbs- und Kostenfaktor. Denn wie überall sind auch in der Beratungsbranche Fachkräfte knapp und werden gut bezahlt. Gleichzeitig steigt der Beratungsbedarf auf Unternehmensseite durch zunehmende Berichtspflichten, etwa zur Nachhaltigkeit.

Auch die Deka selbst setzt bereits seit Längerem auf KI – etwa im Fondsmanagement bei der Sammlung und Auswertung von Markt- und Aktiendaten oder zur Unterstützung des quantitativen Fondsmanagements. Quant-Fonds, wie sie kurz genannt werden, legen ihre Gelder vollständig auf Basis datengetriebener Computermodelle an den Finanzmärkten an.

„In den nächsten zwei Jahren wird jeder Bürojob einen KI-Assistenten bekommen“, sagt Andreas Albrecht, KI-Experte bei der Open Digital Factory, dem Innovationslabor der Deka. „Das bedeutet nicht, dass Arbeitsprozesse komplett anders organisiert werden. Vielmehr geht es darum, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zeitraubenden Standardtätigkeiten zu entlasten und die Qualität der Arbeit zu steigern, indem Prozesse schneller und besser werden.“ So werden KI-Tools beispielsweise Texte in Werbematerialien der Deka daraufhin überprüfen, ob sie den gesetzlichen und internen Kommunikationsrichtlinien entsprechen.

Fachkräftemangel begegnen.

Mit Blick auf die Weltwirtschaft sind sich beide Experten einig: Produktivitätsgewinne durch KI können dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel in vielen Gesellschaften entgegenwirken. „Dabei könnten einfache Tätigkeiten von einer KI übernommen werden. Gerade in klassischen Bürojobs wird das am ehesten der Fall sein“, sagt Fraunhofer-Experte Sifa. „Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass mit jeder industriellen Revolution an anderer Stelle neue Jobs entstehen – und zwar auf Dauer sogar deutlich mehr.“

Wenn Jürgen Klopp also darüber grübelt, für welchen Beruf er sich sonst entschieden hätte, sollte er genau hinschauen. Welcher Job macht Spaß, bietet ein Top-Gehalt, Karrierechancen – und hat Zukunft? Ach so, den hat der Meistertrainer ja schon.

Quelle: fondsmagazin

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